Bunker unter dem 5 Häuser-Quartier

Die Vorgeschichte

 

Für den Bau der "Neuen Mitte" ("5 Häuser-Quartier") in Sprendlingen, einem Komplex aus Wohnungen, Büros und Geschäften, mussten drei Häuser an der Hauptstraße weichen. Das Fachwerkhaus Nr. 36 wurde 1839 erbaut, während über das Haus Nr. 30 bereits 1818 im Brandkatasterbuch von Sprendlingen berichtet wurde. Dort gibt es auch Informationen über die Vorläuferhäuser des Hauses Nr. 36 (TEDI). Es handelt sich um die Fürstlich Isenburg-Birsteinische Kellerei (Steueramt), die zwischen 1891 und 1901 das erste Kaiserliche Postamt beherbergte und ein vor 1818 erbautes Fachwerkhaus.

1848 gründete der Metzgermeister Christoph Müller II dort eine Wurstfabrik, in der erstmals die Frankfurter Würstchen industriell hergestellt wurden. Die Geschäfte liefen gut. Insbesondere sein Sohn Heinrich Müller II investierte in moderne Maschinen. 1882 wurde an der Hauptstraße eine repräsentative Villa erbaut, die zu Wohn- und Geschäftszwecken diente (Haus Nr. 38). Auch das Kaiserliche Postamt und das danebenstehende Fachwerkhaus wurden gekauft. Letzteres wurde abgerissen und ein Neubau im Stil des Nachbargebäudes an dieses angebaut. Der Nachfolger Christoph Müller III führte dann die Firma bis zur Stilllegung in den 1930er Jahren (Nachfolgeprobleme). Er verkaufte den nördlichen Teil des Anwesens an den Optiker Ludwig Hofmann, der dort eine Brillenfabrik einrichtete. Den südlichen Teil kaufte der Unternehmer Philipp Steinmeyer. Es entstand dort eine Kleiderfabrik, die im Krieg Uniformen herstellte. Als die alliierten Luftangriffe immer bedrohlicher wurden, bauten beide Unternehmer mit Hilfe der Beschäftigten und den Nachbarn einen relativ großen Bunker, auf der Grenze von beiden Grundstücken. Dort konnte die Belegschaft tagsüber und die Nachbarschaft nachts Schutz finden. Nach dem Krieg wurde die Brillenproduktion eingestellt; Ludwig Hofmann eröffnete ein Optikergeschäft in Frankfurt. Die Maschinen wurden verkauft, die Vorräte an Fertig- und Halbfertigwaren sowie die Geschäftsunterlagen wurden im Bunker gelagert bzw. entsorgt. Dass dort unten auch gefeiert wurde, belegen die Barhocker und die leeren Flaschen, die später dort gefunden wurden. Der Bunker war bis in die 1960er Jahre zugänglich. Das nutzten offensichtlich junge Leute aus, die unberechtigterweise in den Bunker eindrangen und dort ein großes Durcheinander anrichteten. Der Bunkereingang wurde verschüttet und eine Platte darüber betoniert. Anschließend war das unterirdische Bauwerk von außen nicht mehr zu erkennen. Die Firma Steinmeyer wurde in den 1960er Jahre insolvent. Ein Sprendlinger Bankier kaufte das Anwesen, ließ das "Steinmeyer-Haus" abreißen und ein Wohn-und Geschäftshaus dort errichten. Es beherbergte zunächst eine Filiale der Lebensmittelkette Latscha und zuletzt einen TEDI-Laden (und zwischendurch auch eine Schlecker-Filiale).

Die Hauptgeschichte

Wir, die Freunde Sprendlingens, dokumentierten 2015 einige Sprendlinger Bunker und Luftschutzanlagen. Wir hörten von älteren Einwohnern von dem Bunker zwischen TEDI und der Stadtvilla, von dem allerdings nichts zu sehen war. Wir trafen auch auf ältere Leute, die im Krieg dort Schutz vor Luftangriffen fanden. Und wir sprachen auch mit zwei Personen, die in den 1960er Jahren den Bunker "besuchten". Allerdings konnte sich niemand an die Lage des Eingangs erinnern.

Ende 2018 kontaktierten wir den Projektentwickler, die Firma Schoofs Immobilien GmbH, informierten über den Bunker und verbanden dies mit der Bitte, diesen vor seinem Abriss  dokumentieren zu können. Der Bauleiter rief uns im Oktober 2019 an, um einen Ortstermin zu vereinbaren, der am 24.10.19 stattfand. Wir konnten dort auf die ungefähre Lage des Bunkers hinweisen. Einige Tage später, am 29.10. erhielten wir die Nachricht: der Bunker ist gefunden. Ein Bagger legte seine Decke frei. Wir maßen eine Fläche von 6 x17,5 m. Der Eingang konnte nicht identifiziert werden, wir vermuteten ihn auf der Südseite - und suchten vergeblich nach ihm. Am 31.10 baten wir einen der Herren, die vor über 50 Jahren den Bunker eingedrungen waren, auf die Baustelle (das Delikt ist verjährt!). Er konnte sich jetzt daran erinnern, dass sich der Eingang auf der Westseite befand. Dort lag eine schwere Betonplatte, die aber der Baggerfahrer ohne Mühe zertrümmern konnte. Darunter konnte man den Eingangsschacht erkennen. Mit dem Meißel (die Baggerschaufel war zu breit) konnte ein Teil des Schutts aus dem Schacht entfernt werden, Die verschüttete stählerne Eingangstür stand halb offen. Durch eine kleine Lücke konnten wir einen Blick in den Vorraum werden: eine Not-Toilette aus Kriegszeiten war zu erkennen.

Die Firma Schoofs hatte eine Pressemitteilung über die Entdeckung des Bunkers herausgegeben. Das war Anlass für die Untere Denkmalschutzbehörde und die Bauaufsicht einen vorläufigen Baustopp zu veranlassen. Am 4.10. fand eine behördeninterne Besprechung vor Ort statt: Stadt Dreieich, Untere Denkmalschutzbehörde, Bezirksdenkmalpfleger, Bauaufsicht. Wir wurden über das Ergebnis unterrichtet: Der Bunker sollte zunächst von einem archäologischen Spezialunternehmen dokumentiert werden. Damit wurde die Firma Concluterra aus Offenbach beauftragt. Ein Reporter des Hessischen Rundfunks kam auf die Baustelle, filmte und sprach mit Anwohnern. Die Sendung wurde am gleichen Tag vom Studio Maintower ausgestrahlt. Auch die Offenbach-Post berichtete ausführlich darüber.

Zwischenzeitlich wurde eine schmalere Baggerschaufel organisiert. Am 7.11. konnte der Eingang freigelegt werden. Zusammen mit der Archäologin der Firma Concluterra kletterten wir in den Vorraum hinab. So muss sich Howard Carter gefühlt haben, als er die Tür zum Grab Tutanchamuns öffnete (nun ja, als Heimatforscher muss man kleinere Brötchen backen). Die verrostete Stahltür zum Hauptraum stand halb offen. Stickige feucht-warme Luft umfing uns. Wir erkannten einen länglichen Raum voller Gerümpel: verfaulte Schränke und Regale, Bänke, vermoderte Akten der Firma Hofmann, eine Unmenge an Brillenfassungen und Brillenbügel, Zelluloid-Platten und Glaslinsen. Barhocker und viele leere Flaschen zeugten davon, dass nach dem Krieg im Bunker offensichtlich gefeiert wurde. Die Deckenhöhe betrug nur 195 cm. An der Decke sahen wir Eisenträger dicht an dicht. Wir mussten teilweise durch zähen Schlamm (Papierbrei) waten. Die "Besucher" hatten vor fünfzig Jahren ein ziemliches Chaos hinterlassen. Durch drei Öffnungen konnte man in den zweiten parallelen, gleich großen Raum gelangen, der ebenfalls voller Gerümpel war. An dessen Ostseite stand die Tür zum Notausgang halb offen. Der dazugehörige Ausstiegsschacht war zugemauert. Wir durften leider nur wenige Minuten im Bunker bleiben.

 

Die Archäologin forderte für die weitere Untersuchung eine Bewetterungsanlage. Wir unterstützten den Bauleiter, indem wir bei der Firma Zeppelin in Walldorf für eine Woche einen großen Ventilator mit Luftzufuhrschläuchen mieteten und an die Baustelle brachten. Am 11.11. inspizierte der Bezirksarchäologe zusammen mit Frau P.R. den Bunker: Nach Inventarisierung des Inhaltes könne er geräumt werden. Die Inventarisierung war am nächsten Tag abgeschlossen. Wir besuchten den Bunker am 14.11.nochmals zusammen mit einem Mitglied des Videoklubs Dreieich, der das Projekt Neue Mitte filmisch dokumentiert. Wir fanden dabei dort eine Flasche Jubiläumssekt der Sektkellerei Löffler: 75 Jahre von 1865 - 1940. Uns wurde deutlich, dass die zertrümmerten Bänke zur Originalausstattung des Bunkers gehörten. Am nächsten Tag misteten Mitarbeiter des Abbruchunternehmens den unterirdischen Augiasstall aus. Interessanterweise holten sie auch zwei Kisten mit Reagenzgläsern aus dem Bunker. Wir haben keine Erklärung für diesen Fund. Der Videofilm ist zwischenzeitlich bei Youtube aufzurufen.

 

Für den 18.11.2019 lud die Firma Schoofs interessierte Mitbürger zum "Letzten Baggerbiss" mit Ansprachen, Sekt und Schnittchen ein. Es sollte den Beginn des Abrisses des TEDI-Hauses symbolisieren. Wir nutzten die Gelegenheit, anhand von Bildern, die auch auf dieser Website zu sehen sind, die Geschichte des Ortes und die Entdeckung des Bunkers zu erläutern. Erfreulicherweise hatte die Firma Schoofs eine Aluminiumtreppe in den Treppenschacht montieren lassen, sodass die Besucher der Veranstaltung das Innere des Bunkers besichtigen konnten. Bemerkenswerterweise war die Enkelin eines der Erbauer des Bunkers zugegen, die als Baby mit ihrer Mutter bei Bombenangriffen dort Schutz fand. Die Offenbach-Post berichtete über dieses Event.


Ein Zeitzeugenbericht

 

Mein Name ist Gisela. S., Jahrgang 1935. Ich kann mich noch gut daran erinnern, die Bombennächte im Bunker an der Hauptstraße verbracht zu haben. Dass mir dies möglich war, verdanke ich meiner Tante Susanne G. Sie wohnte an der Ecke Hauptstraße – Bangertsgasse und half, die Baugrube für den Bunker auszuheben. Dafür durfte sie bei Bombenalarm nachts im Bunker Schutz suchen. Und mich nahm sie ohne zu fragen mit in den Schutzraum. Ich wohnte damals mit meinen Eltern im Lacheweg 21. Immer wenn abends oder nachts Voralarm war, setzte mich mein Vater aufs Fahrrad und brachte mich schnell zum Bunker, wo meine Tante mich unten erwartete. Wir saßen dann dichtgedrängt mit anderen Leuten auf Holzbänken. Von explodierenden Bomben bekamen wir kaum etwas mit. Beim Entwarnungssignal konnten wir den Bunker wieder verlassen. Die ersten beiden Räume im Bunker waren der Familie Steinmeyer vorbehalten. Sie waren mit Sesseln und Betten komfortabel eingerichtet. Ob dort auch die Familie Hofmann Platz fand, weiß ich nicht mehr. Bei Tagesangriffen hielten wir uns im Keller unseres Hauses auf, denn der Bunker war der Belegschaft der Firmen Steinmeyer und Hofmann vorbehalten.


Man erreichte die Tür zu dem Bunkervorraum über eine  Außentreppe, die wahrscheinlich durch einen Aufbau geschützt war. Auf dem Podest hinter der Tür wurde die Nottoilette gefunden. Man ging dann vier Stufen weiter hinab, um an die Tür zu dem Schutzraum zu kommen. Dieser bestand aus einem großem Raum (ca. 15 x 3,80 m), der durch eine mittlere 60 cm dicke Stützwand unterteilt war. Diese besaß drei 80 cm breite Durchgänge. Die Deckenhöhe im Bunkerinneren beträgt ca 190 cm. Das südwestliche Segment des Bunkers war mit einem Holzverschlag gegen die restlichen Räume des südlichen Bunkerraums abgeteilt. Dies war das Privatgemach der Fabrikbesitzer. Mit einer Schiebetür am ersten Durchgang auf dessen Südseite konnte man diesen Bereich vom nördlichen Bunkerraum separieren. Halterungen an der Bunkerwand deuten darauf hin, dass das nordöstliche Bunkersegment ebenfalls vom restlichen nördlichen Bunkerbereich getrennt war. Der dritte Durchgang konnte durch eine Schiebetür auf der Nordseite ebenfalls geschlossen werden.

Der Bunker ist recht massiv gebaut. Die Wandstärke außen beträgt ca. 100 cm. Die Bunkerdecke über dem Schutzraum ist beachtliche 165 cm stark. Auffällig ist die Deckenabsicherung durch parallel liegende Eisenträger. Das deutet darauf hin, dass der Bunker nicht nach den damals geltenden Normen erstellt wurde. Diese bestanden aus der Nutzung stahlsparender spezifischer Bewehrungen des Betons. Die weiteren Innenmaße sind der Skizze zu entnehmen.

Die Bewetterung des Bunkers erfolgte durch zwei Ventiltoren am Eingang und am Notausgang, die durch Handkurbeln angetrieben wurden (Abb. rechts). Dabei wurde frische Luft angesaugt. Die Ansaugschächte verlaufen in den Mauern und sind nicht zu erkennen. Es gehen mehrere Entlüftungsrohre in den Wänden nach oben. Sie sollen mehrfach gewinkelt sein, um direkte Stoßwellen abfangen zu können. Vom Notausgang auf der Ostseite führte wahrscheinlich ein Schacht direkt nach oben ins Freie. Der Schacht wurde später entfernt und die Öffnung zugemauert. Der Vorraum wurde wie bei den meisten Bunkern als Gasschleuse benutzt.

Im Eingangsbereich führte ein dickes Erdkabel zu einer Verteilerdose. Von dort ging es zweiadrig weiter zu einer Sicherung. Die dahinterliegende Verkabelung bestand aus einem vieradrigem Kabel. Die Einzeldrähte waren mit Gewebe umhüllt/isoliert. Das Kabel steckte in einer mehr oder weniger flexiblen Aluminiumumhüllung. Das Kabel im Nordraum speiste über Verteilerdosen drei Lampen an der Bunkerdecke. Der Schalter dafür befand sich im Vorraum. Der Südraum wurde ebenfalls mit drei Lampen beleuchtet. Zusätzlich gab es gab es im "Privatgemach" zwei Steckdosen. An der südwestlichen Wand war ein Verteiler/Schalter angebracht, dessen Funktion wegen der starken Korrosion nicht nachvollziehbar war. Die Verbindung zwischen den beiden Räumen bestand aus einem amateurhaft verlegten zweiadrigem Litzendraht, der möglicherweise aus der Nachkriegszeit stammt (Gummiummantelung).

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Südraum durch eine

zweite, unabhängige Stromzufuhr durch ein durch die Bunkerwand führendes Rohr mit Strom versorgt wurde. Interessanterweise hatten die sechs Lampen in beiden Bunkerräumen (nicht jedoch die im Vorraum) neben einer normalen Glühbirnenfassung eine zusätzliche Bajonettfassung für die Glühbirnen der Notbeleuchtung. Wie diese funktionierte (Batterie, zweiter Stromkreis?) konnte nicht geklärt werden.

Anfang Dezember 2019 wurde die Treppe zum Bunkereingang abgerissen und der Eingang aus bautechnischen Gründen wieder zugeschüttet. Der Offenbach Post war zu entnehmen, dass die Firma Schoofs Führungen für die Bevölkerung anbieten will, wobei noch keine Termine genannt wurden. Die Freunde Sprendlingens haben schon einige Ideen zum zukünftigen Nutzungskonzept entwickelt.

 

Wir danken der Firma Schoofs Immobilien GmbH und insbesondere Herrn Peter Willwacher, dass wir die Gelegenheit erhielten, dieses Stück Lokalgeschichte zum Anfassen mit entdecken und dokumentieren zu können.

24.03.2020

29.04.2020


Nachtrag 2/2021
In der Zeitschrift Denkmalpflege & Kulturgeschichte 4-2020, S. 31 publizierten T. Becker, D. Kroemer und P. Rudolf einen Bericht über den Bunker unter dem Titel "Ein Luftschutzraum als Bodendenkmal". Erstaunlicherweise wurden die "Freunde Sprendlingens" dort nicht erwähnt, obwohl der Verein ihn bereits 2015 in einem OP-Artikel erwähnte und danach wesentlich zu seiner Entdeckung beitrug. Das dient nicht dazu, ehrenamtliches Engagement zu fördern.


Nachtrag 5/2022

Am 30,4 2022 wurde mit einem Fest das 5HQ ("Neue Mitte") der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Freunde Sprendlingens boten Führungen durch den Bunker an, was auf großes Interesse stieß. Hier ein Bericht aus der Offenbach-Post.