Jean Bratengeier

Der Pflasterermeister Jean Bratengeier aus Sprendlingen machte sich 1888 in Frankfurt selbstständig und gründete dort eine Baufirma, in der viele Sprendlinger ihre Arbeit fanden. Seit geraumer Zeit hat die Firma ihren Sitz im Buchschlager Industriegebiet. Lesen Sie, was Gerhard Störmer zur Firma Bratengeier  zusammengetragen hat (Das Sprendlingen Buch, Neu-Isenburg 2008)

 

Anmerkung: Der Text ist nicht mehr ganz aktuell. 2023 meldete die Firma Insolvenz an. Lesen Sie -->hier einen Artikel aus der Offenbach-Post. 


Die Firma Bratengeier: Eine Erfolgsgeschichte

Von Gerhard Störmer 

Auszug aus: „Das Sprendlinger Buch“, 2008, leicht redigiert von Wilhelm Ott 

 

Firmen kommen und gehen, werden verkauft, geraten in Insolvenz oder werden schlicht vergessen. Es gibt aber auch Ausnahmen. Alte Sprendlinger verbinden in der folgenden Geschichte zwei Begriffe, die seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts das Dorf prägten und ihm einen unverwechselbaren Stempel aufdrückten. Als Dorf der Maurer und Pflasterer hatte Sprendlingen einen besonderen Ruf in unserer Gegend, im wesentlichen begründet durch die Arbeit „bei der Firma". Die Firma war und ist das Straßenbauunternehmen Jean Bratengeier, ein mittelständisches Unternehmen in der vierten Generation, noch heute in Familienbesitz mit Aktivitäten im In- und Ausland. 

 

Der Name Bratengeier taucht erstmals 1763 als Mühlenbeständer auf der Krcuzmühle in Dreieichenhain auf. Der erste Namensträger Johann Simon Bratengeier kam aus Rothenburg ob der Tauber. Sein Nachfahre, der Sprendlinger Pflastermeister Jean Bratengeier, gründete im Dreikaiserjahr 1888 mit seinen fünf Söhnen das später renommierte Straßenbauunternehmen. 

 

Durch die Bekanntschaft mit seinem ehemaligen Rittmeister aus seiner akti­ven Militärzeit war er zu seinem ersten bedeutenden Auftrag gekommen: Pflaster- und Wegearbeiten auf der neuen Frankfurter Rennbahn in Nieder­rad. Zu Fuß und mit Schubkarren, beladen mit dem nötigen Werkzeug, zogen der Meister und seine fünf Söhne über die Gehspitz zu ihrer Arbeitsstätte nach Niederrad.

 

Dank seiner guten Arbeit und seiner Zuverlässigkeit entwickelte sich das kleine Unternehmen so, dass in Sprendlingen weitere Arbeitskräfte angewor­ben werden mussten für die stetig wachsenden Aufträge in Frankfurt mit seinen großen öffentlichen Flächen, wie Straßen, Parks und Wegen. Damit gewann die Firma für Sprendlinger Fach- und Hilfsarbeiter zunehmend an Bedeutung, so dass eine Frage nach dem Arbeitgeber schlicht und ergreifend mit „bei de Firma" beantwortet wurde. - Und jeder wusste Bescheid. 

 

Zu den einzelnen Baustellen in Frankfurt gelangte man vor dem Bau der Dreieichbahn noch zu Fuß. Bei Wind und Wetter mussten die Sprendlinger und Dreichenhainer Arbeiter sich sehr früh auf den Weg machen, um die aktuelle Baustelle pünktlich zu erreichen. Am Ortsausgang Sprendlingens, in der Frankfurter Straße, befand sich das Gasthaus „Zum Schützenhof' der Familie Heinrich Störmer. Abends, wenn der letzte Gast das Lokal verlassen hatte, stellte die Wirtin eins bis zwei Tabletts mit Schnaps auf die äußere Fensterbank hinter den angelehnten Klappladen; daneben eine kleine Büchse für das Geld. Die Arbeiter wussten dies und öffneten bei Bedarf den angelehnten Klappladen, entnahmen einen Schnaps, legten drei bzw. fünf Pfennig in die bereitgestellte Dose und schlossen den Klappladcn. Nach dieser Wegzehrung eilten sie wieder weiter zu einem langen Arbeitstag.

 

Nach dem ersten größeren Auftrag auf der Frankfurter Rennbahn wurde das junge Unternehmen 1890 von der Stadt Frankfurt beauftragt, den Römerberg und die angrenzende Alte Mainzer Gasse umzupflastern. Damit begann für das Straßen- und Tiefbauunternehmen ein unaufhaltsamer wirtschaftlicher Aufstieg. Qualitätsarbeit, Preiswürdigkeit und Zuverlässigkeit prägten die Firmenphilosophie. 1908 wurden die Zeil und die Straße von Frankfurt-Oberrad nach Offenbach ausgebaut. Dazu kamen die Pflasterarbeiten in der Friedberger Landstraße und um die Friedberger Warte. Weitere Großbaustellen waren 1910 bis 1912 das Deutschherrenufer und 1928 die Frankfurter Ausfallstraße nach der Unterschweinstiege.

 

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann für die Firma Bratengeier eine ganz neue Epoche. Die neuen Herausforderungen waren der Flughafen- und Autobahnbau. Bereits 1934 werden von der Firma die ersten Rodungsarbeiten für den Rhein-Main-Flughafen durchgeführt, gefolgt von Arbeiten auf dem Flughafenvorfeld, Gleisarbeiten für die Reichsbahn, Startbahn, Rollbahn und Abstellflächen auf dem Flugplatz. Damit festigte das Unternehmen seinen hervorragenden Ruf im Straßen- und Tiefbau, was zur Folge hatte, dass Staatsaufträge für den Ausbau der Flughäfen Stockerau bei Wien, Neubiberg und Erding bei München ins Haus flatterten. Auch auf dem neuen Luftschiffhafen Rhein-Main wurden 1935 im Aufträge der Farbwerke Höchst mit einer anderen Rohrbaufirma Gasleitungen für Zeppelinfüllungen verlegt und die Fundamente für notwendige Gleisanlagen und den Zeppelinankermast hergestellt. 

 

Ein weiteres großes Thema für das renommierte Unternehmen war der beginnende Autobahnbau. Mit Hilfe des Autobahnbaus wollte Hitler die grassierende Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise beseitigen. Nach alten Plänen- sollte u. a. die damals sogenannte Hafraba (Verbindung Hamburg-Frankfurt-Basel) als moderne Fernstraße gebaut werden. 1935 erhält die Firma eines der ersten Auftragslose für den Bau einer Teilstrecke der neuen Autobahn Frankfurt - Bad Homburg. Eingeweiht wurde die Autobahn auf dem Abschnitt Frankfurt - Darmstadt, wozu Adolf Hitler im offenen Mercedes vorfährt. Die älteste Gesellschafterin der Firma, Marga Bratengeier, kann sich noch erinnern, wie sie als junges Mädchen mit der damaligen Geschäftsführung auf der Ehrentribüne diesen denkwürdigen Tag erlebte.

 

1939 brach der zweite Weltkrieg aus. Viele Fachkräfte wurden eingezogen. Unter sehr schwierigen Kriegsverhältnissen musste der Betrieb aufrecht erhalten werden. Nach dem Ende des Frankreichfeldzugs 1940 stand die deutsche Wehrmacht in der Normandie an der Küste nur ca. 80 km von der englischen Kanalküste entfernt. Das Oberkommando befahl, sofort zur Sicherung des besetzten Territoriums den Küstenstreifen festungsartig auszubauen. Der sogenannte Atlantikwall entstand, wobei auch zivile Finnen in das Mammutprojekt einbezogen werden mussten. Die Firma Bratengeier wurde mit eigenem und französischem Personal und entsprechender Ausrüstung zu notwendigen Straßenbauarbeiten kriegsverpflichtet. Nach Landung der Alliierten im Juni 1944 mussten sich die deutschen Trup­pen nach schweren Kämpfen aus den besetzten Gebieten teilweise fluchtartig zurückziehen. Bei diesem Rückzug verlor die Firma Bratengeicr wertvolles Gerät, wie Straßenbaumaschinen und anderes schweres Gerät und Ausrüs­tung, da vieles nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnte

 

Nach dem Untergang des Dritten Reiches 1945 konnte die erste Nachkriegs­phase angesichts der verheerenden Kriegsschäden und einer wertlosen Währung bei größter Materialknappheit mehr schlecht als recht gemeistert werden. Dank der schon immer florierenden Landwirtschaft auf den umfangreichen Agrarflächen der Firma wurden die mittlerweile sehr zahlreichen Gesellschafter des Unternehmens mit ihren Familien in diesen Notzeiten aus den Ernteerträgen mit Nahrungsmitteln wie Kartoffeln, B.rot, Fleisch und Brenn­holz einigermaßen versorgt. Und der Geschäftsbetrieb musste unter neuen und schwierigen Bedingungen wieder angekurbelt werden

 

Auf dem von den Amerikanern besetzten Rhein-Main-Flughafen, der weh­rend des Kriegs der Luftwaffe als wichtiger Fliegerhorst diente, lagerten noch Teile des firmeneigenen Maschinenparks, der zur laufenden Unterhaltung der Flugbetriebsflächen während des Kriegs gebraucht wurde. Die Geschäftsleitung versuchte nun, einerseits die beschlagnahmten Geräte wieder frei zu bekommen und andererseits auch Aufträge von der Besatzungsmacht zu erhalten. Diese Bemühungen hatten ausreichenden Erfolg.

 

Im Keller eines ausgebombten Hauses in Darmstadt wurde 1945 ein Firmenbüro eingerichtet. Die alliierte Darmstädter Stadtverwaltung erteilte der Firma Bratengeier einen umfassenden Auftrag zur Enttrümmerung der total zerstörten Innenstadt der einstigen hessischen Metropole. Dazu musste das Unternehmen von der Innenstadt bis nach Griesheim Feldbahngleise verlegen, auf denen mit Loren der Bauschutt abtransportiert werden konnte.

 

Infolge einer total zerstörten Infrastruktur des Landes konnten aus der Gefangenschaft heimgekehrte Soldaten auf den angestammten Arbeitsplätzen kaum angemessene Arbeit finden. Die Firma Bratengeier konnte aber für ihren Enttrümmerungsauftrag jede Hand gebrauchen. So stellte sie viele Arbeitskräfte aus dem Heer der Heimgekehrten ein und sicherte somit ihnen und ihren Familien mindestens die nackte Existenz, was damals viel bedeutete. Einen ähnlichen Auftrag wie in Darmstadt erhielt sie in einem kleineren Rahmen auch von der Stadt Frankfurt.

 

Anfang der fünfziger Jahre wurde für eine leistungsfähige moderne Asphaltmischanlage dringend geeignetes Gelände gesucht. Von der Hessischen Forstverwaltung konnten westlich der Main-Neckar-Bahn in Buchschlag die nötigen Flächen angemietet werden. Die stetige Vergrößerung des Geschäftsumfangs führte dazu, dass später die Verwaltung von der Lahnstraße in Frankfurt nach Buchschlag verlegt wurde.

 

Um 1960 beschließt die Geschäftsleitung angesichts eines gewachsenen Auftragsvolumens, auch ausländische Arbeitskräfte für den Betrieb anzuwerben, deren Unterbringung auf dem Betriebsgelände in Wohnbaracken er­folgte. Im Zuge dieser Maßnahmen sind zeitweise bis zu einem Drittel der Mitarbeiter aus Italien, Spanien und anderen Ländern für das Unternehmen tätig.

 

Die Geschäftsführung nach dem zweiten Weltkrieg lag in den Händen eines Sohnes des Gründers, August Bratengeier, und eines Enkels, Hans Bratengeier. Außer diesen waren noch vier Nachkommen der dritten Generation im Unternehmen tätig. In der folgenden Aufbauphase Deutschlands hat die von einem ursprünglichen Handwerksbetrieb zu einem industriellen Straßenbauunternehmen mutierte Firma beim Bau und Ausbau der Fernverkehrsstraßen wesentlichen Anteil. Schwerpunkt der Aktivitäten waren vorwiegend Südhessen und an­grenzende Regionen.

 

1979 tritt Dr.-Ing. Hans-Hartwig Loewenstein an der Seite des langjährigen geschäftsführenden Gesellschafters Ing. Hans Bratengeier in die Geschäftsführung ein, womit der Generationswechsel vorbereitet wird. Seit 2003 ist mit Ing. Gerhard Bratengeier ein weiteres Mitglied aus der Gründerfamilie in der Geschäftsleitung tätig

 

Die Firma Jean Bratengeier baut Bundes- und Landstraßen, Autobahnen, Flugplätze, Sportanlagen, Kanäle, Schienenwege und reguliert Flüsse. In Straßenbauämtern, Verkehrsbehörden und maßgebenden Industriekreisen beeindrucken Fachkompetenz und Leistungsfähigkeit des mittelständischen Familienunternehmens.

 

Die Referenzliste der Firma liest sich wie der Adelskalender für Industrie und Wirtschaft aus unserer Umgebung: Adlerwerke, Robert Bosch, Degussa, Farbwerke Hoechst, Lurgi, Main Gaswerke, Messegesellschaft, Metallgesell­schaft, Alfred Teves, VDO, Vereinigte Glanzstoffwerke Kelsterbach und viele andere. Beim 75-jährigen Firmenjubiläum 1963 werden 31 Fachingenieure, 30 kauf­männische Mitarbeiter und 700 Arbeiter beschäftigt. In den folgenden Jahren erweitert sich die Referenzliste beträchtlich. In Frankfurt sind z. B. Fressgasse, Hauptwache, Zeil, Rossmarkt, Mörfelder Landstraße, Darmstädter Landstraße und die Mainuferpromenaden Highlights für das Schaffen und die Kompetenz der Firma Bratengeier im Straßenbau. Der Luisenplatz in Darmstadt wurde im gleichen Sinne mit besonderem städtebaulichem Akzent von den Mitarbeitern des Hauses gestaltet. Bedeutende Baulose beim Autobahnbau füllten die Auftragsbücher der Firma z. B.: A3 (Frankfurt - Offenbacher Kreuz) oder A5 Frankfurt - Darmstadt. Die Flughafenbetriebsflächen und die Startbahn West wurden von Braten­geier gebaut. Am Aufbau Ost beteiligte sich das Unternehmen mit Arbeiten an der B85 OD Oldisleben, in der JVA Gräfentonna und an der Panzerstraße in Bad Frankenhausen. 

 

Ausgangs des 20. Jahrhunderts macht sich die nachlassende Bereitstellung öffentlicher Mittel für den Straßenbau zunehmend empfindlich bemerkbar. Steigende Personal- und Sozialleistungen zwingen die Bauwirtschaft angesichts ihrer Kostenstruktur zur Vermeidung eventueller Insolvenzen zu einer Neupositionierung in wirtschaftlichem Gesamtrahmen. Auch die Firma Jean Bratengeier muss ihre Unternehmensziele neu definieren und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Im Focus stehen arbeitsteilige Partnerschaften mit anderen Mittelstandsunternehmen und Stärkung der Fachorganisationen zur Wahrung der legitimen Interessen ihrer Mitglieder. 

 

Heute ist die Firma Jean Bratengeier ein Bestandteil einer mittelständischen Firmengruppe mit über 200 Mitarbeitern. Sie ist auf dem Marktsegment Straßenbau nach wie vor ein potenter Anbieter der entsprechenden Bauleistungen. In der vierten Generation in Familienbesitz, ist sie ein Mittelstandsunternehmen mit Tradition und dank erfolgreichem Management auch mit Zukunft - und nicht zuletzt ein bedeutender Steuerzahler der Stadt Dreieich.

 

Anmerkungen von Wilhelm Ott, August 2014

 

Das Unternehmen hat zwischenzeitlich eine neue Führungsstruktur: Gerhard Bratengeier ist der technische Geschäftsführer, während der kaufmännische Bereich von seiner Schwester, Margit Dietz geleitet wird. Am 6.9.2013 feierte die Firma Jean Bratengeier im Burggarten zu Dreieichenhain ihr 125 Bestehen. Eingeladen waren 250 Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik um drei Generationen der Familie Bratengeier für ihr erfolgreiches unternehmerisches handeln zu gratulieren.