Gerhard Störmer hat für sein "Sprendlingen-Buch" ausführlich über die Firma Wiedekind recherchiert. Obwohl dieser Abschnitt der Website der frühen Industrialisierung Sprendlingens gewidmet ist, wollen wir den interessanten Bericht, der durch Anklicken des Bildes geladen werden kann, nicht unterschlagen. Die ersten Gebäude der Bekleidungswerke Wiedekind wurden 1954 an der Frankfurter Straße errichtet. Darin wurde moderne Freizeitkleidung hergestellt. Der geschäftliche Erfolg erlaubte dem Bau von Zweigwerken im In- und Ausland, ebenso eine neue Firmenzentrale. Der Umsatz erreichte 1979 ein Volumen von 100 Mio DM. -->Anzeige 1979. In den 1980er Jahren erfasste die Textilkrise auch diese Sprendlinger Firma, die schließlich 1991 insolvent wurde.
Bekleidungswerke Wiedekind
Auszug aus: „Das Sprendlinger Buch“, 2008
Von Gerhard Störmer
Der Textilvertreter Friedrich Wiedekind lässt 1954 in der Frankfurter Straße - noch auf freiem Feld, wie auf einer alten Aufnahme erkennbar, zwei bescheidene kleinere Flachbauten von seinem späteren Haus-Architekten Fred Keim zur Produktion von Hosen und anderen Konfektionsartikeln errichten, die Bekleidungswerke Wiedekind GmbH. Diese entscheidende unternehmerische Leistung des Firmengründers resultierte aus der frühzeitigen Erkenntnis der zukünftig großen Bedeutung der Freizeitbekleidung.
Am 1. August wird die Produktion mit 30 Näherinnen und 3 Angestellten aufgenommen. Zur Produktpalette gehören Hosen und Röcke für Damen und Herren. Aus Platzmangel
findet die eigentliche Geschäftseröffnungsfeier am 4. August in der Betriebsgarage statt. Ein abgewetzter Korbstuhl diente als Chefessel. Zunächst werden täglich 400 Teile produziert. Die
damalige Mode: Cocktailkleider, Pepita-Hosenanzügc, Cordhosen, Lumberjacks, Ringelsocken und Kreppschuhe. Steigende Nachfrage macht eine Erweiterung der Geschäftskapazität notwendig. 1959 wird
der erste Zweigbetrieb in Lohrhaupten in hessischen Spessart eröffnet.
Mittlerweile hat sich Produktion und Verwaltung so entwickelt, dass ein repräsentatives Gebäude für Verwaltung, Vertrieb und Marketing erforderlich wird. 1960 ist
es soweit. Der Verwaltungsbau an der Frankfurter Straße, nach modernsten Erkenntnissen konzipiert und ausgeführt, setzt einen bedeutenden städtebaulichen Akzent in Sprendlingen. 1961 nimmt
ein weiterer Zweigbetrieb in Dieburg seine Produktion auf. 1962 gründen Friedrich Wiedekind mit seiner Ehefrau Ilse als Gesellschafterin die Innsbrucker Bekleidungs- GmbH. 1967
wird eine 5.600qm große Fertigungshalle mit Stofflager und Näherei dem Firmenkomplex angegliedert. Trotz dieser Maßnahmen nimmt der Platzbedarf weiter zu. 1969 wird auf einer Produktionsfläche
von 1.800 qm ein hochmoderner Fertigungsbetrieb in Biebesheim eröffnet. 1972 entsteht in Herxheim in der Pfalz auf 4.500 qm der größte Zweigbetrieb der Unternehmensgruppe. 1976 werden täglich
17000 Teile zum Versand gebracht. Das macht den weiteren Bau einer 1.000 qm großen Halle für die Versandabteilung notwendig. Hinzu kommt, dass 1978 der bekannte Hosenspezialist Müller
Wipperfürth übernommen wird.
Beim 25-jährigen Firmenjubiläum 1979 wird mit dem Hauptbetrieb in Sprendlingen, den Zweigbetrieben in Biebesheim, Dieburg, Frammersbach, Lohrhaupten, Ruppertshütten, Herxheim und Innsbruck von 1.400 Mitarbeitern ein Jahresumsatz von ca. 100 Millionen DM erreicht, wobei der Exportanteil 20% beträgt. Täglich verlassen 11.000 Hosen und 1.500 Hosenanzüge, Jacken, Röcke, Kostüme und Mäntel die Produktionsstätten. Ihre Grundflächen sind von ursprünglich 700qm auf 24.000 qm im Jubiläumsjahr angewachsen.
Steigender Konkurrenzdruck in den folgenden Jahren infolge schnellwachsender Billigangebote aus Südostasien, wie Hongkong, Singapur oder Taiwan leiten eine langsame Umorientierung im Einkaufsversverhalten der Kaufhauskonzerne und Versender ein. Die Konsumenten achten immer mehr auf den günstigsten Preis. Die Qualitäten der Textilien aus Fernost entsprechen zwar nicht dem Standard des Hauses Wiedekind, die Dessins und die Modelle werden aber für den europäischen Markt umstandslos und schnell kopiert und preisgünstig der aktuellen Mode entsprechend angeboten. Diesen Umständen hat die Deutsche Industrie nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Im Kampf um den Verbraucher verlieren die deutschen Textilfabriken immer mehr Marktanteile. Die Firma Wiedekind bildet in diesem Zusammenhang keine Ausnahme. Hinzu kommen noch einige Personalentscheidungen in der Führungsetage, die sich für den Betrieb und alte Geschäftsverbindungen negativ auswirken.
Der größte Kunde des Hauses zu diesem Zeitpunkt ist der Großfilialist C & A., der sich nun anderen Anbietern zuwendet. Nach und nach müssen die Zweigbetriebe aufgegeben und das Personal entlassen werden. 1989 wird der Geschäftsbetrieb in der Frankfurter Straße eingestellt. Ein Restbestand von ca. 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern setzt in kleinem Rahmen die Produktion in der ehemaligen Kleiderfabrik Lösch im Dreieichenhainer Industriegebiet fort. Doch die wirtschaftlichen Probleme nehmen kein Ende. 1991 muss Insolvenz angemeldet werden. Damit gehört der einstmals bedeutende Wirtschaftsfaktor Wiedekind für Sprendlingen der Vergangenheit an. Eine Ära geht zu Ende. Trotzdem hat der Gründer des Hauses, Friedrich Wiedekind, als überragend Unternehmerpersönlichkeit für sein Lebenswerk ein ehrendes Andenken verdient.
Herr Karl-Heinz Kaup, ein früherer leitender Angestellter von Wiedekind, hat uns freundlicherweise einige Fotos von Friedrich Wiedekind zur Verfügung gestellt: