Ellen Betrix

English Version                             

 

Schönheit made in Sprendlingen

Von Dr. Barbara Simon

 

Teil 1 (1934 bis 1958):

Der Beginn in Frankfurt bis nach Sprendlingen

 März 2021


Business ForumSeit 2018 springt der mächtige, gläserne europäische Sitz der MHK-Gruppe wie ein „Wahrzeichen“ ins Auge, wenn man von Norden her nach Sprendlingen eintritt. Doch nur wenige Jahre zuvor war der Gebäudekomplex „Business Forum Dreieich“ (Foto oben) das größte und höchste Bauwerk am Tor zur Stadt. Büros, Firmen, Fitnessstudio und einen Shop für Babyartikel sind heute dort einquartiert. Viele Menschen aus Sprendlingen und der Region wissen jedoch, dass hier ursprünglich Schönheitsartikel für die ganze Welt produziert wurden, nämlich von Ellen Betrix – Cosmetic International. Der Ursprung der explosionsartigen Erfolgsgeschichte dieser Sprendlinger Firma, die dann 1989 ziemlich abrupt endete, liegt jedoch in Frankfurt in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es begann in einem Keller … 

 

Kleines „Startup“ im Frankfurter Westend

Fritz SegnerIm Herbst 1934 entschloss sich der Kaufmann Fritz Segner (Foto rechts), in Frankfurt eine kleine Kosmetikfirma unter dem Namen „Henry M. Betrix“ zu gründen. Juliane Segner, die Schwiegertochter des Firmengründers, erinnert sich: „Mein Schwiegervater hatte zuvor in einer Parfümerie in der Goethestraße in Frankfurt angefangen, Cremes herzustellen. Weil das immer besser lief, machte er sich Gedanken über einen Produktnamen. Während einer Reise nach New York lernte er einen Henry Betrix kennen. Da kam ihm der Gedanke, diesen außergewöhnlichen Namen zu Schriftzugverwenden. Henry erschien ihm dann aber als Produktname für Frauen nicht geeignet, doch die Schwester dieses Henry hieß Ellen!“  

Schon ein Jahr später (1935) ließ Segner „Ellen Betrix“ als Warenzeichen beim Reichspatentamt eintragen. Das Logo sollte der „Unterschrift einer Dame“ gleichen und wurde mit einem fünfzackigen Krönchen verziert (Foto links), um eine gewisse „Noblesse“ anzudeuten. Die Firmengeschichte gab dem Gründer recht: Name und Logo funktionierten über Jahrzehnte einwandfrei.
Niedenau Frankfurt

In den ersten Jahren wurde zunächst eine Serie mit fünf Produkten vertrieben, die von neun Mitarbeitern hergestellt wurden. 1939 waren die Frankfurter Pioniere damit immerhin schon so erfolgreich, dass man in das renommierte Frankfurter Westend (Niedenau, Foto rechts – das Gebäude existiert heute nicht mehr) umziehen konnte. Bis 1940 hatte es Ellen Betrix geschafft, die großen Parfümerien in Berlin und anderen Großstädten als Kunden zu gewinnen, sagt die Firmenchronik. Dann forderte der Krieg eine Zwangspause. 

 

Der Neustart nach 1945

Labor im Keller Niedenau FrankfurtRezept SchönheitsmilchErst 1949 waren wieder genügend Rohstoffe verfügbar, um die Produktion aufzunehmen. Zum Glück war das Stammhaus im Westend verschont geblieben. Es diente als Wohnhaus der Familie und Firmensitz gleichermaßen. Im Souterrain wurde das Labor (siehe Foto links) eingerichtet und das Lager bestückt, im Parterre abgefüllt, verpackt und verwaltet.

 

Der Wohlstand wächst und man putzt sich heraus 

Creme Exclusiv

Ellen Betrix musste und konnte sich schnell am Markt behaupten und bereits nach wenigen Jahren mit den damals bekannten Marken wie Elisabeth Arden und Elise Bock messen.  Das Frankfurter „Startup“ in der Niedenau produzierte vor allem Nagellack, Lippenstift, flüssiges Rouge oder Schönheits-Milch (Rezept siehe Bild oben). 

Zu Grundausstattung in einer Parfümerie gehörten zu jener Zeit noch überwiegend Pflege- und Hygieneprodukte wie Zahnpasta, Mundwasser, Schwimmseife, Büstencreme, Hormoncreme, Mottenkugeln oder Badekristalle. Mit dem wachsenden Wohlstand jedoch füllten sich die Regale zusehends mit Schönheitskosmetik.  Unsere Abbildung rechts zeigt das älteste erhaltene Schaufensterplakat der Betrix-Produkte von 1950 für die Creme Exclusiv.

Das Wachstum spiegelte sich bald in den Bilanzen wieder: 1954 knackte EB seine erste Umsatzmillion und der spätere Firmenchef und Sohn des Inhabers, Klaus Segner, wurde persönlich haftender Gesellschafter. 

 

Auf der Suche nach einer größeren Bleibe

Aber noch etwas hatte das exponentielle Wachstum zur Folge: Die Räume im Westend wurden zu eng. Die Firmenleitung suchte nun im Umfeld von Frankfurt nach einem Grundstück und wurde 1958 schließlich fündig. „Ein Bekannter hatte eine Firma in Sprendlingen und machte uns auf diesen Standort aufmerksam“, erinnert sich Juliane Segner. Die Stadt bot dem Unternehmen eine große Fläche an der Frankfurter Straße an, das auch noch verkehrsgünstig lag. Ellen Betrix wiederum beeindruckte den Magistrat mit Erfolgsaussichten: „Wir befassen uns mit der Herstellung von Kosmetikprodukten, die von uns an 700 bis 800 Depots in der Bundesrepublik Deutschland geliefert werden“, hieß es in einem Antrag. Die Firma versprach in den Verhandlungen, nicht nur die Produktion, sondern später auch die Verwaltung nach Sprendlingen zu verlegen. 

 

Bürgermeister Banse erhoffte sich viel von den Frankfurtern und ließ sogar andere Bewerber abblitzen: Für den damals nicht ungewöhnlichen Preis von 3,50 DM pro Quadratmeter  (heute nach Bodenrichtwert 240 Euro) verkaufte die Stadt im Herbst 1958 das 6.500 m2 große Grundstück am Ende der Frankfurter Straße und läutete damit die Sprendlinger Phase der Ellen Betrix ein, die schließlich 30 Jahre dauern sollte.

 

Ansiedlung

 

 

 

 

 


Schauen Sie auch mal in Youtube in die alten Werbeclips von Ellen Betrix:
Fernsehwerbung

 

 

 

 


 

Teil 2 (1959 bis 1984):

Cocktails, Sonnencreme und drei neue Türme 

 März 2021

 

1959: Der Umzug nach Sprendlingen

Laborleiterin Gisela Ihne atmete im November 1958 auf. Endlich zog der Kosmetikhersteller Ellen Betrix von Frankfurt in die neuen Hallen an der Robert-Bosch-Straße in Sprendlingen. „In der Niedenau war es am Schluss ja so eng, dass wir ständig blaue Flecken hatten“, erinnert sich die Laborleiterin in einer Firmenschrift. Auf dem großzügigen Gelände in Sprendlingen konnte man sich sogar optische Spielereien erlauben: Die Flachbauten bildeten von oben gesehen den Buchstaben E. Im Laufe der vielen Erweiterungen verschwanden diese Container allerdings dann völlig.

ArchitektenskizzeLabor Sprendlingen 1959










In den 60er Jahren konsolidiert sich Ellen Betrix, aber entwickelt sich auch weiter. 1960 entstand die erste Auslandsgesellschaft in Italien, es folgten Gründungen in Österreich, Schweden, Spanien, Luxemburg und der Schweiz. Die Firmenchronik erwähnt zum Beispiel, dass 1964 der erste Computer angeschafft wurde. 1969 zog dann auch die Verwaltung von Frankfurt nach Sprendlingen..

Fritz SegnerEste Flachbauten

 

 

 

 

 




1969: Die erste von vielen Erweiterung beginnt

Wie rasant der wirtschaftliche Aufstieg von statten ging, wird deutlich, wenn man sich klar macht, dass die Neubauten schon nach 10 Jahren wieder zu eng geworden waren. 1968 begann daher die erste der großen Erweiterungen an der Robert-Bosch-Straße. Im EB-Report von 1969 präsentierte General Manager Ernst Student das Ergebnis: „Nach einjähriger Bauzeit entstanden jetzt sieben Etagen mit 5.000 qm zusätzlicher Betriebsfläche.“ Man konnte es sich leisten, denn „1969 konnten 25 % Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr erzielt werden“, womit man zwar vor der Konkurrenz lag, jedoch auch auf der Erfolgswelle einer ganzen Branche mitschwamm, die im Durchschnitt 10 % Wachstum generieren konnte.

 

Ellen Betrix Werk 1Baustelle Werk 1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit den mächtigen zwei Türmen wuchs EB Ellen Betrix 1971 nach oben hinaus. Die Familie Segner wohnte in einem Penthaus auf dem Dach eines Gebäudes im Werk 1.  An der Offenbacher Straße entstand das Werk 2, und an der Luise-Meitner-Straße das Werk 3. 1979 wurde das neue Verwaltungs- und Produktionsgebäude an der Frankfurter Straße eingeweiht. Das Gebäude zählte zu einem der imposantesten in Sprendlingen der 70er Jahre. 1986 wurde in Werk 3 ein modernes Hochregallager erbaut. Eine Karte zeigt die Lage der drei Ellen Betrix-Werke im Industriegebiet von Sprendlingen.
 

Nicht nur das Werk, auch das Schönheitsideal wandelt sich

Vom ersten „gesitteten“ Slogan „Kostbar wie ein Juwel“ wandelten sich natürlich auch die Werbesprüche und spiegeln gesellschaftliche Trends wider. Und so hieß es dann schon in den 70ern gar nicht mehr so brav “sweet and sexy“. Außerdem zeigte man immer mehr Haut und den Reisewellen folgten die passenden Sonnenpräparate „Adriabraun“ oder „Ultrabraun“.   

Einen Überblick über den Wandel der Kosmetik und der Schminkvorschläge findet sich im Jubiläumsheft von 1984. Hier sehen Sie hier einen Auszug mit kommentierten Fotos, der den Make-Up-Style von 1965 bis 1984 abbildet:

65-72 Make-up73-84 Make-up

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Internet finden Sie weitere Hinweise zu den Kosmetiklinien von Ellen Betrix, z.B.
https://www.seeteufelchen.info/e4-ellen-betrix/


 
Werbung 1978Juliane und Anja Segner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild links, 1978: Die große Zeit der Sonnencremes und des Themas Lichtschutzfaktor
Bild rechts:
Juliane Segner und Tochter Anja haben heute noch Freude an Produkten von Ellen Betrix

 

 70er Jahre – der Umsatz steigt und man kickt an der B3

Zu Beginn des Jahres 1973 wurde für rund 5 Millionen DM ein Neubau mit 7000 qm errichtet. Die Gesamtfläche für Verwaltung, Betrieb und Lager betrug nun 28.000 qm. Im Jahrespressebericht wurde in diesem Zusammenhang betont, dass es keine fremden Kapitalbeteiligungen dafür gegeben habe. Juliane Segner (Ehefrau von Klaus Segner) erklärt das aus heutiger Sicht zurückhaltend anmutende Geschäftsgebaren ihres Mannes und auch des Schwiegervaters: „Das waren eben konservative Kaufleute. Für die kamen Kredite nicht in Frage. Geld konnte erst ausgegeben werden, wenn es erwirtschaftet war.“ 

 

Fußballspiel 1973Ein Wort noch zum Betriebsklima: Viele ehemalige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschreiben die Zeit bei Ellen Betrix als familiär. Der Arbeitgeber sei großzügig gewesen und dem damaligen Bedürfnis vieler Frauen nach Teilzeitstellen entgegengekommen. Wir wissen, dass heute viele Firmen ein anderes Konzept fahren und zum Beispiel mit Betriebskindergärten reagieren. Auch beim Betriebssport zeigt sich noch der Zeitgeist, denn die EB-Fußballmannschaft war noch rein männlich. Man kickte an der B3 (heute steht dort das Haus des Lebenslangen Lernens) und der 1. FC Ellen Betrix trat regelmäßig gegen andere Betriebsportgruppen an. Auf dem untenstehenden Foto sieht man das Spiel gegen das Team des Chilenischen Konsulates in Frankfurt am 13.8.1973 und im Vordergrund Firmenchef, Klaus Segner, beim Einwurf. 

 

SortimentDie stets aufwärts gerichtete Wachstumskurve erhielt jedoch auch in den 70ern einmal kurz eine Delle. 1973 musste der Dreieicher Hersteller erstmals eine Ertragsverschlechterung hinnehmen. „Die Rohstoffpreise waren gestiegen und die ganze Branche hatte damals Wachstumsschwierigkeiten“, erinnert sich Juliane Segner. Auch zeichneten sich Verwerfungen durch Fusionierung im Handelsnetz ab und viele kleinere Läden gaben auf. Ellen Betrix blieb aber weiterhin die Nr. 1 der sogenannten Depotkosmetik in Deutschland und konnte 72,7 Mio DM Umsatz erwirtschaften. 

 

17 Uhr Cocktails: Sehen und gesehen werden auf den legendären Pressekonferenzen

In den „fetten“ Jahren war Ellen Betrix so populär, dass man von gesellschaftlichen Ereignissen sprechen konnte, wenn die Firma ihre Pressekonferenzen veranstaltete. Neben der Präsentation der Unternehmenszahlen, neuen Make-Ups und Düften, dem Darreichen von Häppchen und Cocktails sorgten Fotoshootings mit Prominenz für zusätzlichen Glanz. Die Partylaune der 70er kam auch bei Ellen Betrix zur Wirkung und Einladungen für die Pressevertreter begannen damals mit dem Tagesordnungspunkt: „17 Uhr Cocktails“. Auch die Orte wurden den großen Ereignissen und Strömungen angepasst: 1972 konferierte man wegen Olympia in München, wegen Tochtergründungen in Madrid und Barcelona oder 1982 wegen der Zusammenarbeit mit Laura Biagiotti in Venedig. 

 

Pressekonferenz 1972

Jürgen Scheller 1973 Lach-und Schießgesellschaft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild oben links: Aus dem EB-Report vom 6. Februar 1972: Mit erfolgreichen deutschen Sportlerinnen und Sportlern schmückte man sich auf der Pressekonferenz in München. Für die Hessen am bekanntesten dürfte der mittig  platzierte Nationalspieler Jürgen Grabowski sein, der bei Eintracht Frankfurt spielte.
Bild oben rechts: Nicht nur Sportler, auch Kabarettisten sorgten für Moderation und Unterhaltung, hier 1973 Jürgen Scheller von der Lach- und Schießgeselllschaft,


Der Führungswechsel

Klaus SegnerIn die 70er Jahre fällt auch der Führungswechsel im Unternehmen: 1974 übernimmt Sohn Klaus J. Segner die Geschäfte und leitet ab nun das Unternehmen noch weitere 15 Jahre. Die Familie Segner lebte inzwischen auch in Dreieich und die Verbundenheit zur Stadt drückte sich nicht nur durch üppige Gewerbesteuer sondern auch immer wieder in Form großzügiger Spenden aus: sei es ein teures Polizeimotorrad oder eine kunstvolle Plastik vor der Stadtbücherei.   Die hauseigenen Kreationen dieser Zeit konnten sich durchaus mit anderen großen Marken messen. Es waren typische Düfte der 70er/80er Jahre mit Chypre-Akkorden oder orientalischen Noten im entsprechenden Flakon- und Verpackungsdesign. Doch über diese gute handwerkliche Arbeit hinaus musste Ellen Betrix an seinem „Branding“ arbeiten und begann über seine Tochterfirma Eurocos international bekannte „Namen“ und Düfte einzukaufen wie Hugo Boss oder Laura Biagiotti. 

 

1984: Ellen Betrix feiert 50jähriges    

Für das 50jährige Jubiläum wurde das Bürgerhaus angemietet und mit Prominenz und Rückblicken auf die erfolgreiche Zeit angestoßen. Die 1984er-Bilanz konnte sich außerdem sehen lassen: 200 Millionen Umsatz, seit 12 Jahren Nr. 1 der Depotkosmetik, fast 1000 Mitarbeiter im Inland und noch einmal 400 bei den Tochterfirmen im Ausland. Noch ahnte niemand in der Feierlaune, dass die letzten fünf Jahre des Familienunternehmens angebrochen waren.   Mehr dazu im dritten und letzten Teil unserer Ellen-Betrix-Story…

Jubiläum 1984

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum großen Jubiläum von 1984 gehörte auch eine Modenschau in den Outfits der letzten 50 Jahre. Die beiden Herren sind Firmengründer Fritz Segner (links) und sein Sohn und Nachfolger Klaus Segner, rechts.

 

Teil 3 (1985 bis 2009):

Ellen Betrix schminkt ab

 März 2021

 

 Der Anfang vom Ende durch den Verkauf an Revlon

PokalbroschüreSektlaune in Sprendlingen: Ellen Betrix feierte 1984 das 50jährige, die Korken knallten im Bürgerhaus. In den folgenden zwei Jahren ging es mondän weiter und die Firma zeigte Upper-Class-Präsenz in Frankfurt, stiftete Preise und Pokale für den Pferdesport. Im Rennklub Frankfurt am Main kämpften Ross und Reiter 1986 und 1987 um den sogenannten Henry-M-Betrix-Pokal und schafften es damit bis in die Klatschspalten der BILD-Zeitung. Offenbar ahnte keiner oder wenige, was nur kurze Zeit später geschah. Auch wenn die FAZ schon 1986 von der Idee eines Joint-Ventures mit Wella in Darmstadt berichtete. Gemeinsam wurden Produkte für den japanischen Markt entwickelt. Das Geschäft lief jedoch nicht gut und so wurde der Vertrag mit Wella wieder aufgelöst.

 
Was führte zum Verkauf?

Trotz schwarzer Zahlen stauten sich auch Probleme auf: die ungelöste Nachfolge innerhalb der Familie, wachsender Konkurrenzdruck und Konflikte mit dem Betriebsrat. „Ein ‚Weiter so‘ als Familienbetrieb war damals einfach nicht die Option“, sagt Juliane Segner im Rückblick. Auch Wulf-Dieter Preiß, der damalige Personalchef, bestätigt dies. Aber er sagt auch: „Ellen Betrix war 1989 ein gesundes Unternehmen und hätte als mittelständischer Betrieb weiter existieren können. Die Geschäftsführung hätte man einer externen Person übertragen können.“

Doch die Zukunftsprognosen wurden eben nicht von allen rosig gesehen. Es wären über kurz oder lang größere Investitionen in neue Technologien nötig gewesen und „dieses finanzielle Risiko erschien der Geschäftsführung zu groß“, erinnert sich Juliane Segner. Dies alles zusammen ließ beim Firmenchef Klaus Segner immer mehr den Gedanken reifen, das Unternehmen zu verkaufen.

Verkauf an Revlon

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Unterschrift, die das Ende des Familienbetriebes besiegelte: Klaus Segner (Mitte) unterzeichnet den Verkauf von Ellen Betrix an den US-Kosmetikhersteller Revlon. 

 

In diese Gemengelage kamen außerdem nun Angebote für Übernahmen. „Revlon kam damals auf Ellen Betrix zu,“ erinnert sich Tim Segner. Zunächst sei mit dem US-Konzern vereinbart worden, dass sein Vater noch 3 Jahre in der Geschäftsführung bleiben sollte, doch dies wurde dann schon 1990 vorzeitig aufgelöst. Bei den Betrix-Standorten fächerte sich nun die Nutzung auf: „Von den ehemaligen EB-Gebäuden übernahm Revlon nur Werk 1. In Werk 3 ließ VW Autozubehör lagern. Und das vollautomatische Lager aus der Betrix-Zeit wurde noch eine zeitlang von Procter&Gamble genutzt“, sagt Segner.

 

1989: Stadt Dreieich muss Steuern zurückzahlen

Bisher hatte Ellen Betrix der Stadt Dreieich ein gut gefülltes Gewerbesteuersäckel beschert. Nun sorgte der Verkauf für einen Verlust von einigen Millionen. Im Stadtanzeiger bilanziert Klaus Segner am 15. Mai 1990, dass der Verkauf dennoch richtig gewesen sei:

Stadtanzeiger 1990

Stadtanzeiger 1990

Als Trostpflaster floss eine 2-Millionen-D-Mark-Spende an die Kommune. Die Winkelsmühle in Dreieichenhain als Begegnungsstätte wurde von diesen Geldern ausgebaut. Wulf-Dieter Preiß sagt, dass dies natürlich den Schaden nur abmildern konnte, denn „das war ja nur ein Bruchteil dessen, was die Stadt an Steuern zurückzahlen musste.“

Winkelsmühle










Die Winkelsmühle in Dreieichenhain wurde von einer Spende durch Klaus Segner finanziert. Foto:  W. Ott

 

1991: Revlon selbst steht zum Verkauf

Offenbach-Post 1991Zunächst glaubten viele Mitarbeiter, dass sich unter der neuen US-amerikanischen Geschäftsführung im Grunde nicht viel ändern werde. Doch sie irrten, denn schon 2 Jahre nach dem Deal von 1989 stand wiederum Revlon selbst zum Verkauf. Jetzt wurde auch über die Branchenkenner hinaus ersichtlich, welche Strategie hinter dem Ankauf der Dreieicher Firma gesteckt hatte. Wulf-Dieter Preiß legt den Finger in die Wunde: „Revlon hatte sich mit dem Kauf von Ellen Betrix nur aufgehübscht für den Markt.“ Die US-Company Revlon sei nämlich vor 1989 nicht in bester Verfassung gewesen. „Mit einem gesunden Unternehmen wie Ellen Betrix konnte man sich am Markt attraktiver machen!“ Und tatsächlich stürzte sich nun ein Gigant der Branche auf die „aufgehübschte“ Braut und seine Marken.

 

                                                                                                                                                                                     Offenbach-Post vom 17.8.1991                              

1991: Procter & Gamble übernimmt

1991 übernahm also US-Marktriese Procter & Gamble von Revlon den Dreieicher Kosmetikhersteller. Der Kauf beinhaltete auch die Lizenzen für die populären Ellen-Betrix-Marken Hugo Boss & Laura Biagiotti. Die Zukunftssorgen im Unternehmen und beim Betriebsrat wuchsen, denn die Mitarbeiter bekamen nur noch befristete Verträge vom neuen Arbeitgeber.

 

Für Wulf-Dieter Preiß sieht die bittere Wahrheit heute so aus: „Als Procter&Gamble übernahm, ließ man noch eine kurze Schonfrist verstreichen und schloss dann nach und nach den Standort Dreieich. Hier zeigte der globale Kapitalismus seine hässliche Fratze.“ Ellen Betrix sei auch nicht an seinem Wachstum gescheitert. „Man hätte über Sanierung und Modernisierung durchaus reden können, aber man hätte nicht einfach ohne Not 1000 Leute entlassen müssen!“

 

 1995: Die Streichungswellen und Standortverlegungen beginnen

Infoblatt BetriebsratDer Abbau vollzog sich in drei Schritten. Im September 1995 titelten die Lokalzeitungen „270 Arbeitsplätze werden abgebaut“ und der Betriebsrat drückte die Wut der Belegschaft aus: „Uns reicht’s jetzt! Wir wollen endlich die ganze Wahrheit wissen!“

 

 Die FAZ schrieb im November 1995:Noch vor vier Monaten sei dem Betriebsrat versprochen worden, daß die Parfümerieproduktion in Dreieich bleibe. Nun könne man auch den Darstellungen des Unternehmens keinen Glauben mehr schenken, daß der Vertrieb erhalten werde. Jetzt rechne man mit der kompletten Aufgabe des Standortes. Der Arbeitsplatzabbau geschehe ohne Not, denn Betrix schreibe schwarze Zahlen.“                                   

Informationsblatt des Betriebsrates Oktober 1995


Die Dreieicher Politik erkannte nun auch, was der Stadt und den Mitarbeitern drohte, und verfasste im Dezember 1995 eine Resolution:

Resolution

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Offenbach-Post, 7. Dezember 1995 

 

1996: Alle Befürchtungen werden wahr und 540 Jobs gehen verloren

Die Resolution der Dreieicher Politiker bleibt wirkungslos und das Jahr 1996 beginnt mit den befürchteten Horrormeldungen: Die gesamte Produktion wird nach England verlagert. Am 26. Januar 1996 titelten die Medien „Betrix schminkt ab: 540 Jobs weg!“ (BILD), „Ellen Betrix entlässt noch einmal 270 Beschäftigte“ (Frankfurter Rundschau) und in der Offenbach-Post vom 26.1.1996 war zu lesen: "Katastrophe für die Mitarbeiter:, Betrix streicht schon wieder 270 Arbeitsplätze. Damit gehe in diesem Jahr 540 Stellen verloren"

Bürgermeister Abeln äußert sich klar und empört, aber letztlich wirkungslos: Bürgermeister Abeln

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Februar 1996 gehen die Betroffenen auf die Straße: 
 Demonstration

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dreieich-Spiegel vom 8. Februar 1996, Foto: Matthias Debes/Archiv Dreieich-Zeitung 

 

Nun vollzog sich das, was Wulf-Dieter Preiß „das Trauma für die Stadt Dreieich“ nennt. Er selbst hatte bereits gekündigt, „denn ich wollte als Personalchef nicht aktiv an dieser schlimmen Entlassungswelle mitwirken“. Seine Ökumenische ArbeitsloseninitiativeErfahrung  steckte er lieber in die Beratung von Arbeitslosen in dem von ihm mit gegründeten ÖAI-Cafe, einer ökumenischen Initiative in der St. Laurentius-Kirche in Sprendlingen. Schließlich war klar, dass viele der entlassenen Frauen nur schwer einen neuen Arbeitsplatz finden würden. Die ökumenische Arbeitsloseninitiative gibt es heute noch und ist damit auch ein „Erbe“ der Ellen-Betrix-Geschichte. 

 

2009: Endgültige Schließung des Standortes Sprendlingen

Noch 13 Jahre dauerte es, bis der Vorhang fiel. Am 3. März 2009 wurde das endgültige ‚Aus‘ von der Öffentlichkeit verbittert aber inzwischen unaufgeregter wahrgenommen. Verblieben waren in Sprendlingen ohnehin nur noch 200 Zeitarbeitsplätze in der Logistik. Doch bereits 2007 hatte Procter & Gamble angekündigt, dieses „Distributionszentrum“ zu Wella, die inzwischen ebenfalls zu P&G gehörten, nach Weiterstadt zu verlegen.

 

Die Offenbach-Post schrieb:

„Procter & Gamble hat mit Wirkung zum 1. März sein im Sprendlinger Industriegebiet verbliebenes Logistik-Center nach Weiterstadt verlegt und im Rahmen eines so genannten Betriebsübergangs in die Firma Wella (auch ein Procter & Gamble-Unternehmen) integriert. Damit sind in Dreieich nicht nur 200 Arbeitsplätze - größtenteils Zeitarbeitsplätze verloren gegangen, beendet ist auch das Stück Dreieicher Firmengeschichte, das mit dem Umzug des Segner-Unternehmens Betrix von Frankfurt nach Sprendlingen seinen Anfang genommen hatte.“

 

Alles vorbei? Nein, Ellen Betrix wirkt weiter …

Trotz des unschönen Endes und vielen Jobverlusten: Wir müssen festhalten, dass Ellen-Betrix unübersehbare Spuren in der Stadt hinterlassen hat. Die Kommune profitierte drei Jahrzehnte von den Steuereinnahmen, es flossen Spenden für Soziale Einrichtungen und die Gestaltung des öffentlichen Raumes, die Betrix-Gebäude und Produktionshallen stehen heute noch, viele ehemalige Mitarbeiter halten Erinnerungen wach und eine Arbeitslosenberatung entstand. Und diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

 

Nicht zuletzt lebt und arbeitet ein Teil der Familie immer noch in Dreieich (Stand 2021). Nach dem Verkauf im Jahr 1989 floss der Erlös hauptsächlich in Immobilien im Rhein-Main-Gebiet. Mit einer kleinen Gruppe ehemaliger Betrix- und neuer Mitarbeiter werden diese heute in der KS-Verwaltungsgesellschaft unter der Leitung von Tim Segner gemanagt. 2003 investierte die KS sogar erneut und ließ den Büro-Komplex Plaza Dreieich an der Offenbacher Straße errichten: In Sprendlingen!