Aufgeschrieben von Hch. Runkel, formal überarbeitet von W. Ott im Januar 2016
Zusammenfassung
Das Landgut Mariahall ist aus dem Gut "Kuglers Hof' hervorgegangen, das Joh. Wilhelm Moessinger 1885 erwarb. Er gründete ein Gestüt zur Zucht von Traberpferden, das sehr erfolgreich war und Weltruhm erlangte. Eines seiner bekanntesten Pferde war die berühmte "Blue Belle". Für die Bevölkerung Sprendlingens war das Gut in mancherlei Hinsicht ein großer Nutzen. Es gab angenehme Arbeitsplätze. Der Obst- und Gartenbau profitierte von dem gärtnerischen Betrieb des Gutes, das hervorragende Gärtner einstellte. Der ärmeren Bevölkerung kamen regelmäßige Milchspenden zugute.
Frau Helene Moessinger, die Frau des Sohnes von J.W. Moessinger, Dr. Friedrich Moessinger, richtete nach dem Ersten Weltkrieg in Mariahall ein Heim für Kleinkinder und Säuglinge sowie für uneheliche Mütter ein. In seiner Glanzzeit hatte das angesehene Gut häufig Besuch aus Kreisen des Adels und von Fürstlichkeiten.
Einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bahnte sich der Niedergang des Gutes an. Das vorwiegend auf landwirtschaftlichen Betrieb umgestellte Gut hatte große Misserfolge, insbesondere durch Krankheiten und Seuchen in den Viehbeständen. Schweren Herzens musste Dr. Friedrich Moessinger 1926 das Anwesen an die Gemeinde Sprendlingen verkaufen. Er ist im Jahre 1930 von hier zunächst nach Langen, dann nach Baden-Baden umgezogen, und ist von dort 1944 in die Schweiz übergesiedelt. Das Gebäude hatte in der Folgezeit verschiedene Nutzungen: Arzneimittelfabrik, Restaurant, NS-Schulungsstätte. Das Herrschaftsgebäude wurde nicht sorgfältig gepflegt, es verkam und wurde 1965 wegen seines schlechten Zustandes abgerissen.
Das Hofgut umfasste das gesamte jetzige Schwimmbadgelände sowie die heutigen Tennisplätze, den Schwimmbadparkplatz, den trockengelegten Teich, den Spielplatz und Teile der Mariahallstraße.
Einzelheiten
Das Herrschaftshaus wurde vermutlich in der Zeit zwischen 1835 und 1838 erbaut und gehörte zu dem Gut "Kuglers Hof", das später den Namen "Mariahall" erhielt. Im Jahre 1885 erstand der Vater Dr. Friedrich Moessingers, Johann Wilhelm Moessinger, das Gut von dem damaligen Eigentümer Moritz Stöcker für 36.000 Mark. Viele Sprendlinger sind der Ansicht, dass Wilhelm Moessinger das Gut zu Ehren seiner Frau Mariahall genannt habe. Das Gut hat aber bereits beim Erwerb durch Wilhelm Moessinger den Namen Mariahall getragen.
Die beiden Brüder Viktor und Johann Wilhelm Moessinger hatten sich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fünf Jahre in den Vereinigten Staaten aufgehalten. Diese Zeit hatte ganz entscheidenden Einfluss auf den weiteren Lebensweg JohannWilhelm Moessingers (geb. 10.01.1855, verst. 01.03.1932). Er hatte die amerikanischen Traberpferde kennen gelernt und sich für sie begeistert. Nach seiner Rückkehr fasste er den Entschluss, die Traberzucht auch in Deutschland einzuführen. Hierzu benötigte er landwirtschaftliches Gelände (hauptsächlich Wiesen), das nach Möglichkeit in der Nähe seines Wohnsitzes Frankfurt liegen sollte. Auf der Suche nach solchem Gelände fand er dieses Landgut, das allerdings, als er es erwarb, wesentlich weniger Grundbesitz hatte. Durch Zukauf von angrenzenden Äckern ("Wolfsche Liegenschaften"), die z. T. in der Dreieichenhainer Gemarkung lagen, erreichte das Gut eine Größe von etwa 30 Morgen.
Wilhelm Moessinger ließ die landwirtschaftlichen Gebäude zu Pferdeställen umbauen und errichtete in den neunziger Jahren den großen Mittelbau mit etwa 25 Einzelboxen (Gestüt Mariahall). Über den Boxen waren Wohnungen für das Personal, auch ein großer Speicher. Die Bauten errichtete das Baugeschäft Philipp Müller. Der Vater Philipp Müllers soll bereits beim Bau des Gutshauses mitgewirkt haben.
Um das Jahr 1886 hat Wilhelm Moessinger einige Zuchtpferde aus Amerika kommen lassen (Traber). Herr Wilhelm Kuch (Schulstraße) war 12 Jahre lang in Mariahall tätig (1894 - 1906). Er erinnerte sich noch an die Deckhengste „Lump“(1886) und „Emigrant“(A.Tr.)(1889), die sich gut vererbt hätten, und an die Stute „Gipsy Queen“(A.Tr.)(1883) (schnellstes amerikanisches Pferd) und „Blue Belle“(A.Tr.)(1875), die die Grundlage der erfolgreichen Moessingerschen Traberzucht ausgemacht hätten. Ein Huf der legendären „Blue Belle“ wird heute noch von Christian Schmidt ehrenvoll aufbewahrt. Nachkommen dieser Pferde waren z.B. „Lumen“(1895), „Libelle“(1894) 3,1:39,7, „Luftikus“(1893) 6,1:36,4, „Lukretia“(1894) (Alle von „Lump“ stammend, daher der Anfangsbuchstabe L des Namens). Der "Frankfurter Generalanzeiger" berichtete (um das Jahr 1892):"Das Gestüt Mariahall in Sprendlingen steht mit seinen Gewinnen in diesem Jahr an der Spitze und führt mit einer Gesamtsumme von ca. 60.000 Mark, während der nächste Stall nur 18.000 Mark gewonnen hat. Zu den Gewinnen haben 12 Pferde beigetragen, und zwar
„Brünhilde“ (D.Tr.)(1889) 4,1:32,4 22.900.- Mark
„Friedel M“ (D.Tr.)(1887) 6,1:38,3 8.650.- Mark
„Alexis“ (D.Tr.)(1887) 6.200.- Mark
„Agnes“ (D.Tr.)(1887) 4.700.- Mark
„Lumpacius“ (D.Tr.)(1890) 4,1;35,9 3.800.- Mark
„Lump“ (D.Tr.)(1886) 4,1:38,9 3.400.- Mark
„Dandy“ (A.Tr.)(1888) 4.400.- Mark
„Emigrant“ (A.Tr.)(1889) 1:34,8 1.850.- Mark
Mit Ausnahme von „Emigrant“ und „Dandy“ sind sämtliche Pferde in Sprendlingen gezogen. Das Gestüt hat in „Brünhilde“(1889), einer Tochter des „France's Alexander“(A.Tr.)(1874) und der Vollblutstute „Baldrick xx“(1881), die beste Dreijährige in Deutschland und Österreich, ja vielleicht in Europa, und gewann dieselbe allein ca. 23.000 Mark an Rennpreisen. Aber Mariahall hat auch in „Lumpacius“(1890), einem Sohn des „Lump“, den besten Zweijährigen, welcher bereits im Oktober auf Westend den Kilometer in 1:47 trabte. Neuerdings zieht Mariahall auch Vollblutpferde und trainiert auf der großen Bahn nahe der Station Sprendlingen für die Rennbahn.“
© Gerd von Ende
Die Derby-Siegerin „Emilia“(1898) stammte von „Emigrant“. Ein etwas seltsamer Pferdename wurde gelegentlich auch einmal erwähnt: „Prilhildenstein“(„Brünhildenstein“). Viele Jahre hindurch hat auch der Sprendlinger Konrad Anthes Traberpferde trainiert. Er fuhr auch Trabrennen. Im Jahre 1901 hat er das Traberderby in Berlin-Weißensee mit dem Pferd „Emilie“ gewonnen. Auf dem silbernen Schild, der als Ehrenpreis des Kaisers überreicht wurde, ist auch sein Name eingraviert. Im Mai 1913 soll er bei einem Rennen an Herzschlag verstorben sein. Nach siegreich bestrittenen Rennen floss im Darmstädter Hof jeweils reichlich Sekt. Der Darmstädter Hof war das Verkehrslokal der Moessingers, während das Personal auf Mariahall als Verkehrslokal eine Wirtschaft bei Stapp (vor der Betzenkammer) auf dem Lindenplatz hatte.
Der Hengst Lump soll sich in Mariahall sehr übel aufgeführt haben. Seinen Betreuer August Schäfer soll er beim Ausschlagen so schwer getroffen haben, dass dieser an den Folgen verstorben ist. Dem Stallburschen Wilhelm Sachs hat er ein Ohr abgebissen. Wilhelm Kuch erzählt, dass er mit „Lump“ - wie mit allen Hengsten am ehesten zurechtgekommen sei, wenn er ihm morgens kein Wasser gegeben habe. Dann ließ er sich friedlich aus seiner Box herausführen.
Für Trainingszwecke war in Mariahall eine Rennbahn angelegt worden. Das heutige Spielgelände des Parkschwimmbades liegt in diesem Bereich. Durch Zukauf von Äckern in der Dreieichenhainer Gemarkung konnte die Bahn auf 600 m Länge gebracht werden. Die Zufahrt zum Gestüt erfolgte über die Tempelstraße, für deren Neupflasterung Johann Wilhelm Moessinger 1890 600 Mark Zuschuss gab, da die Herrichtung auf seinen Wunsch hin erfolgte.
Um das Jahr 1890 ging Wilhelm Moessinger auch zur Zucht von Vollblutpferden über. Eines seiner besten Pferde soll "Nixnutz" gewesen sein, der bei einem Derby den zweiten Platz schaffte (totes Rennen). Die Erfolge mit den Vollblütern sollen nicht so eindrucksvoll gewesen sein, wie die mit den Trabern. Immerhin soll „Nixnutz“ das Union Rennen von Hoppegarten gewonnen haben, den Preis von Baden-Baden und manches Rennen in Niederrad bei Frankfurt/M. Die beste zweijährige Stute ist beim Umhergaloppieren auf der Koppel gegen das Ende einer losen Stange gelaufen, wobei ihr die Stange tief in die Brust eingedrungen ist, dass man sie erschießen musste. Trainer der Vollblutzucht waren: der Ungar Bison (lange Jahre) und der amerikanische Jockei Robinson. Sie sollen die Bestverdiener in Mariahall gewesen sein. Man hat sich erzählt, dass sie großtuerisch ihre Zigarren mit Geldscheinen angezündet hätten. Robinson soll regelmäßig im Herbst nach Amerika gereist und im Frühjahr zurückgekehrt sein. Die Mariahaller Pferde wurden von dem Sprendlinger Schmied Joh. Dreieicher, dem Bruder des langjährigen Bürgermeisters Dreieicher beschlagen.
Infolge des rasch zunehmenden Pferdebestandes reichten die Weidemöglichkeiten in Mariahall bald nicht mehr aus. Wilhelm Moessinger kaufte in der Nähe der Gemarkung Breitensee bei dem heutigen Buchschlag, das damals noch nicht bestand, ein zusammenhängendes Terrain von etwa 60 Morgen (auf der Karte links oben). Dieses Gelände diente vorwiegend Weidezwecken. Das dort errichtete lang gestreckte Gebäude enthielt etwa 40 Einzelboxen. Es wurde auch eine Trainingsrennbahn von etwa 1200 m Länge angelegt. Wilhelm Moessinger gab dem sandreichen und wenig fruchtbaren Gelände den charakterisierenden Namen Kamerun. Nach dem ersten Weltkrieg hatte der Sprendlinger Reit- und Fahrverein dort seinen Reitplatz angelegt und seine Reitveranstaltungen abgehalten.
Wilhelm Kuch erinnerte sich auch an die Namen der Trabertrainer: Mac Mitchen (Amerikaner), Heidegger, Forster und - wie bereits erwähnt - Konrad Anthes. Moessinger hatte allen Betreuern seiner wertvollen Pferde eingeschärft, sehr behutsam mit den Tieren umzugehen. Man sagt, dass sie "besser behandelt wurden als Kinder". Wenn jemand gewagt hätte, eines der Tiere ungerecht zu behandeln, dann wäre er fristlos entlassen worden.
Eine ganze Reihe Sprendlinger war auf Mariahall beschäftigt, und sie erinnerten sich alle gern an diese Zeit zurück. Joh. Phil. Schäfer ("Fattche") war als Trainer und Jockei tätig. Georg Schäfer war Stutenmeister. Ihm oblag die Betreuung der Mutterstuten und der Jährlinge. Johannes Jung war auch einer der Pferdebetreuer. Herr Beuchert verwaltete im Kamerun die Stallungen mit 30 bis 40 Pferden, Mutterstuten und Jungtieren. Peter Frank war in der Hauptsache Fahrer. Er erledigte auch die Besorgungsfahrten, holte Heu, Hafer usw. Für ausreichende Bewegung der Pferde hatten die Herrn G. A. Kuch ("Schneider-Kuch") und Schäfer Sorge zu tragen. Sie fuhren auch zur Pferdebetreuung mit zu den Rennen.
Die jungen, in Mariahall beschäftigten Burschen waren üblicherweise im Haus von Georg Wilhelm Stroh untergebracht und wurden von Frau Stroh versorgt. Die gesamte Pferdehaltung überwachte zeitweilig ein Inspektor Schlieper, der später zu einem Berliner Rennklub überwechselte. Die gesundheitliche Betreuung der Pferde lag in den Händen des Tierarztes Dr. Jelkmann, der einer der bedeutendsten Tierärzte gewesen sein soll. Herr Kuch erinnerte sich noch gut an den Verwalter Reuchling, einen ehemaligen Vizewachtmeister, Nachfolger von Schlieper, der den vergeblichen Versuch unternommen hatte, auf Mariahall militärischen Drill einzuführen. Reuchling ging später als Futtermeister nach Darmstadt. Von einem Sprendlinger namens Luft wurde berichtet, man habe ihn eines Tages erschossen im Treibhaus aufgefunden.
Bei Trabrennen bekam anfänglich der Amerikaner Mitchen das beste Pferd, das Zweitbeste wurde dem Bruder von Wilhelm Kuch, Georg Kuch, anvertraut. Georg Kuch war 18 Jahre lang in Moessinger’schen Diensten. Je zwei Pferde hatten ihren eigenen Betreuer. Er musste sie versorgen, pflegen und am Vormittag zwei Stunden bewegen. Nachts hatten zwei Mann abwechselnd die Wache bei den Ställen.
Gute Rennpferde seien u.a. gewesen: „Lohengrin“(1891), „Ariadne“(1899), „Ortrud“, und „Agnes“. Rennen wurden auch in Wien und Italien bestritten. Wilhelm Kuch erinnert sich, dass vor einem Rennen im Ausland ein Moessingersches Pferd auf dem Weg zur Rennbahn einen Herzschlag erlitten habe. Für die Nennungen der Pferde zu Rennen war Oberlandesstallmeister Baron von Willich aus Darmstadt zuständig, ein Freund der Familie Moessinger. Der Sohn des Barons hatte ein Gut in Reinheim. Dieser Manager von Mariahall sei in der damaligen Zeit einer der besten Pferdekenner gewesen.
Der Pferdebestand war in der Glanzzeit von Mariahall auf nahezu 100 angestiegen, Traber und Vollblüter. Die Futterbeschaffung bereitete mitunter Probleme. Zeitweilig kamen ganze Wagonladungen mit Hafer direkt aus Russland. „Die Traberzucht von Mariahall ist grundlegend und wegweisend für die Zucht dieser Pferde in Deutschland gewesen. Noch heute geht das Blut mancher Traber auf die Zucht in Mariahall zurück“.
Neben der Pferdezucht wurde auch die Milchviehzucht betrieben. Zeitweilig wurden 70 bis 80 Liter Milch täglich gewonnen. Auch der Gärtnereibetrieb, zu dem ein paar große Gewächshäuser mit Dampfheizung gehörten, war großzügig angelegt. Obst, insbesondere Zwergobst, und Blumen wurden in reichem Maße angebaut. Mehrere Gärtner waren ständig in den Gewächshäusern und im Freigelände beschäftigt, dabei auch ein Sprendlinger namens Joh. Stroh ("Raubel"). Während der Hauptsaison wurden noch drei weitere Gärtner eingestellt. In Erinnerung geblieben ist noch der Gärtner Jeckl aus Büdingen. Er sei ein etwas ängstlicher Mann gewesen. Als Jeckl eines späten Abends entdeckte, dass die Tür zum Stall offen stand, malte er sich in seiner angsterregten Phantasie einen Raubüberfall oder etwas Ähnliches aus, schlug Alarm und rannte über die Theisenmühle zur Hainer Chaussee. Als er von dort vorsichtig zurückkehrte, wurde er von seinen Kollegen mit Gespött empfangen.
Das Bange machen scheint ein beliebter Spaß des Mariahaller Personals gewesen zu sein, denn man erzählt sich, dass man auch dem vorsichtigen Stallmeister Reuchling auf seinem nächtlichen Nachhauseweg einen ordentlichen Schrecken einjagen wollte. Man hatte zu diesem Zweck weiße Leintücher über die Hecken im "Gäßchen" gehängt (Das Gäßchen war ein Abkürzungspfad nach Mariahall, der zwischen Kirchgarten und Tempelstraße beginnend, von Hecken und Zäunen umsäumt, Richtung Mariahall führte). Damit der Spuk noch gespenstiger wirken sollte, hatte man in einer Pfanne Spiritus entzündet, der mit Salz versetzt war und infolgedessen mit grellgelber Flamme brannte, wobei das Flackern geisterhaft umherirrende Schatten hervorzauberte. Ob Reuchling aus Angst oder um die Schelme zu fangen die Nachtwache gerufen hat, ist nicht bekannt geworden. Ein andermal hat man Reuchling einen ausgestopften Habicht auf eine Pappel gesetzt und ihn dazu gebracht, dass er auf den Vogel schoss.
Der Obergärtner Müller war aus der Gegend von Berlin nach Mariahall gekommen. Er ist in Erinnerung geblieben als ein ausgezeichneter Kenner von Obstbäumen und sonstiger Hölzer (auch von Palmen u.a.), sowie von Nutz- und Zierpflanzen. Man weiß zu berichten, dass in den Treibhäusern Pampelmusen gezogen wurden, allerdings seien sie sehr klein geraten. Auf Mariahall gab es einen großen Hühnerhof. Man hatte sich auf die Zucht der Plymouth-Rocks verlegt. Gelegenheit zur Aufzucht von Enten und Fischen bot der Weiher. Wenn bei Hochwasser der Weiher überlief, wurden mitunter Fische bis auf die Niederwiesen gespült (Wiesengebiet vor dem Buchschläger Wald) .
Es wird erzählt, dass im Jahre 1912 auf dem Gelände von Mariahall ein "Aeroplan" aus Darmstadt notgelandet sei. Das Gelände um das Flugzeug, einen Doppeldecker, sei eiligst abgesperrt worden, um Neugierige zurückzuhalten. "Haus-Friseur" bei Moessingers soll der Sprendlinger Friseur Bauer (Hauptstraße) gewesen sein. In den Jahren um 1910 ließ Wilhelm Moessinger den Gestütsbetrieb zurückgehen. Kurz vor dem ersten Weltkrieg gab er ihn völlig auf. Schon 1902 hat er die Trainingsbahn im Kamerun stillgelegt.
Im Jahre 1913, nach dem Tod der Gemahlin von Wilhelm Moessinger, gab der Sohn, Dr. Friedrich Moessinger, dem Wunsch seines Vaters entsprechend, seine Stellung als höherer preußischer Verwaltungsbeamter auf und übernahm Mariahall und Kamerun. Friedrich Moessinger setzte sich zum Ziel, Mariahall zu einem rein landwirtschaftlichen Betrieb umzugestalten. Zu diesem Zweck ließ er im Juli 1914 eine größere Anzahl von Kühen aus Ostpreußen kommen. Der Transport kam wenige Tage vor Ausbruch des ersten Weltkrieges an. Die frühere Trabrennbahn wurde Viehweide. Bei Kriegsbeginn konnte Dr. Moessinger täglich 40 bis 50 Liter Milch - neben Geldbeträgen - an hilfsbedürftige Familien spenden, Er bot an, das Landhaus als Lazarett mit 20 Betten bei Selbstverpf1egung zur Verfügung zu stellen.
Dr. Moessinger, der bei den gelben Ulanen gedient hatte. wurde zum Kriegsdienst einberufen und musste sich als Adjutant beim Generalkommando in Breslau melden. Nach den ersten Schlachten in Belgien und Frankreich erreichte ihn an der Front die Hiobsbotschaft, dass sein gesamter Kuhbestand von der Maul- und Klauenseuche befallen sei, dass man dazu noch seinen Oberschweizer zum Militär eingezogen hatte.
Friedrich Moessinger ließ während seiner Abwesenheit den restlichen Rindviehbestand verkaufen. Bei diesem Geschäft halfen "hilfreiche Freunde" mit, ihn finanziell kräftig übers Ohr zu hauen. "Der junge Moessinger wurde von seinem verbliebenen Personal bestohlen und betrogen." Es war schon so, dass der junge Moessinger bei den Sprendlingern nicht die Sympathien genoss wie sein Vater. Ob die Ursache darin lag, dass ihm die geschickte und sparsame Art zu wirtschaften, die seinen Vater auszeichnete, nicht eigen war was viele Sprendlinger behaupten - das ist schwer zu beurteilen.
Nach Kriegsende unternahm Friedrich Moessinger den zweiten Anlauf, Mariahall landwirtschaftlich auszubauen. Unter schwierigen Umständen wurde das sandige Kamerun-Gelände umgepflügt. Noch schwieriger war die Beschaffung der dringend benötigten Düngemittel und des Saatgutes. Um die Wirtschaftlichkeit des Betriebes zu verbessern, kaufte er noch weitere umliegende Geländestücke.
Dr. Moessinger sagt selbst, dass nur die Vielseitigkeit des Wirtschaftsbetriebes von Mariahall ihm die Möglichkeit. gegeben habe, die schlimmen Inflationsjahre durchzuhalten. Den Gärtnereibetrieb hat er ganz auf die Bedürfnisse seiner Abnehmer in Frankfurt umgestellt. Den Schweinebestand konnte er von den Küchenabfällen des Frankfurter Bahnhofbetriebs und der Hotels durchfüttern. Einen schweren Rückschlag gab es in der Schweinezucht, als er 19 prächtige Muttersauen gleichzeitig abschlachten lassen musste, weil sie von der Rotlaufseuche befallen waren.
Eine Aktivität von Frau Moessinger verdient lobend hervorgehoben zu werden. Sie gründete im Jahr l919, nachdem Mariahall als Lazarett nicht genutzt wurde, ein Heim für Kleinkinder und Säuglinge, das regen Zuspruch hatte. Die Mütter von unehelichen Kindern halfen in der Küche mit. Bis zu 25 Säuglinge konnten aufgenommen werden. Frau Moessinger war während des ersten Weltkrieges als Schwester tätig gewesen und hatte auch später noch eine besondere Neigung zu diesem Beruf. Sie führte das Heim bis die Beschwerden ihres schweren Leidens ihr die weitere Tätigkeit unmöglich machten. Am 31.XII.1920 musste diese segensreiche Einrichtung geschlossen werden.
Aus der Notzeit der Nachkriegsjahre 1919 und 1920 ist es zu erklären, dass Sprendlinger und andere Leute ihren Kartoffelbedarf in unerlaubter Weise aus den Moessingerschen Äckern deckten. Ein Kartoffelschlag von etwa 20 Morgen Größe z.B. wurde praktisch restlos ausgeplündert. Die Notlage von Mariahall wurde immer kritischer. Der Wert der Gebäude wurde zur Besteuerung unverhältnismäßig hoch angesetzt. Die Steuerlast wurde nahezu unerträglich. Zwangsmieter wurden eingewiesen, die nur geringe Mieteinnahmen brachten.
Im Jahre 1926 hat Dr. Moessinger einen Teil des Reitstalles zu einem Wannen- und Brausebad umbauen lassen, dem er den Namen "Marienbad" gab. Das Bad wurde von den Sprendlingern dankend angenommen, denn es gab damals noch wenig private Baderäume. Es hatte 8 Wannen, dazu medizinische Baderäume und - was für die damalige Zeit als besonders fortschrittlich anzusehen war - große Brauseräume für Schulklassen. In regelmäßigen Zeitabständen wurden die Schulklassen von ihren Lehrern zum Baden begleitet. Mit dem Kauf des Anwesens durch die Gemeinde Sprendlingen ging auch das Bad in gemeindlichen Besitz über.
Vor der Inflation hatte Friedrich Moessinger die benachbarte Theisenmühle für 80.000 Mark gekauft, sie aber nach der Inflation auf Wunsch des Müllers wieder zurückgegeben.
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Anmerkung auf Bass eines Schreibens von Susanne Spengler, Enkeling von Philipp Müller, undatiert.
Während des Krieges äußerte Friedrich Mössinger den Wunsch, die Theisenmühle zu kaufen. Philipp Müller willigte ein. Im
notariellen Vertrag wurde vereinbart, dass die fälligen 100.000 Reichsmark 2 Jahre nach Kriegsende in Gold zu bezahlen seien. Als die im Vertrag festgelegten 2 Jahre abgelaufen waren, konnte
Friedrich Mössinger die geforderte Summe in Gold nicht aufbringen, da das Geld durch die Inflation praktisch wertlos geworden war. Nach einigem Hin und Her machten beide Parteien den Kaufvertrag
rückgängig.
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Die von Friedrich Moessinger betriebene Heilmittelfabrik ("Bioson") wurde von Bensheim nach Mariahall verlegt (Stallungen; Außerhalb 3). Er verkaufte die Firma später an zwei interessierte Sprendlinger (Fritz Späth und Philipp Liederbach). Aus einem Mietvertrag von 1929 geht hervor, dass das Biosonwerk die Fabrikräumlichkeiten in Mariahall gemietet hatte. In auswegloser Situation musste sich Friedrich Moessinger schweren Herzens zum Verkauf dieses ihm " so liebgewordenen Besitzes" für 175.000 Mark an die Gemeinde Sprendlingen entschließen (16.IX.1926). Dieser Besitz war ihm "zu einem damals nicht mehr tragbaren Luxus geworden". Besonders hart überkam ihn dieser Entschluss, weil sich in dem Mariahallgelände die Gruft seiner im November 1922 im Alter von 30 Jahren verstorbenen Frau befand (am Zusammenfluss der beiden Hengstbacharme unterhalb der Theisenmühle, im heutigen Schwimmbadgelände). Die dortige Bestattung soll die zweite von Frau Moessinger gewesen sein. Die erste Gruft (mit Natursteinen ausgemauert) soll sich dort befunden haben, wo heute das Haus Nr. 8 der Robert-Koch-Straße steht.
Frau Helene Moessinger, geb. Schmitz-Imhoff, war an einem unheilbaren Leiden erkrankt und musste viele Schmerzen ertragen. Wie Mariahall-Beschäftigte erzählen, war sie Friedrich Moessingers zweite Frau. Er hatte sie als Krankenschwester in Lüttich kennen gelernt. Ihre Heimat soll Köln gewesen sein. Von der ersten Frau, die aus Breslau stammte und die wegen ihrer sparsamen Haushaltsführung den Sprendlingern imponierte, wurde Friedrich Moessinger angeblich geschieden. Er hat wahrscheinlich noch ein drittes Mal geheiratet.
Wilhelm Moessinger ließ den Teich jedes Jahr gründlich säubern. Die Fische wurden vorher mit Netzen herausgefangen und nach der Reinigung wieder eingesetzt. In der Nähe des Teiches hat die Gemeinde nach dem Erwerb des Geländes eine Freilicht-bühne anlegen lassen, die besonders den schauspielerischen Neigungen von Herrn Lehrer Wellhöfer gelegen kam. Noch heute erzählen die älteren Sprendlinger von seiner großartigen "Wilhelm Tell"- Inszenierung.
Nicht nur Rennstallbesitzer beehrten ihren Kollegen Moessinger mit ihrem Besuch, wie z.B. die Herren von Büssing, Baron von Oppenheim, Bleichröter, von Lang-Buchhof, auch Leute mit viel Einfluss und Geld, wie Horstmann (General-Anzeiger), Kleyer, Rittmeister Freyeisen, Löschhorn (Inhaber einer Frankfurter Firma) kamen häufig und gern, selbst Fürsten und Grafen waren wiederholt zu Gast auf Mariahall. Der alte Großherzog Ludwig kam des Öfteren. Er schaute sich gern die Mariahaller Pferdezucht an. Auch der Großherzog Ernst-Ludwig kam zu Besuch, sowie der nachmalige König Ludwig von Bayern als Prinz. Friedrich Moessinger erinnerte sich, als er schon in der Schweiz wohnte, dass er als Junge von etwa 5 Jahren der damaligen Prinzessin Alix, der späteren Zarin, zur Begrüßung auf Mariahall einen Blumenstrauß überreichen musste.
Bei der festlichen Einweihung der Kleinkinderschule Schulstraße 42 am 29. September 1901 waren der hessische Großherzog Ernst-Ludwig und seine Gemahlin Ehrengäste. Sie wurden in einer Kutsche mit vier Pferden aus Mariahall gefahren. Stolzer Kutscher war Herr Kuch. Einige Jahre vor dem zweiten Weltkrieg hat in der eigentlichen Reithalle der Flugsportverein Dreieich seine Segelflugzeuge gebaut. Die ersten Gleitflugzeuge waren die 12m-Zöglinge "Sandhas" und "Waghars". Auch dieses Gebäude steht heute nicht mehr. Es hat den Umkleideräumen für das Schwimmbad Platz gemacht.
Man hat in Sprendlingen viel herumgerätselt, warum Wilhelm Moessinger bei diesen Bekanntenkreisen und den Beziehungen, die er hatte, nicht den Titel Kommerzienrat verliehen bekam, wie das damals so üblich war. Manche glauben zu wissen, dass es einmal beinahe dazu gekommen sei. Ein besonders schmucker Wagen, einer der ersten gummibereiften, sei als Gegengeschenk schon hergerichtet worden. Der Wagen sollte, wie man erzählte, von zwei Rappen und zwei Füchsen gezogen werden. Doch habe sich schließlich herausgestellt, dass Wilhelm Moessinger kein hessischer Staatsbürger war, und so sei die Ernennung unterblieben. Der Sohn Moessinger, später auf diesen Sachverhalt angesprochen, lachte über diese Mutmaßung und stellte wörtlich fest: "Mein Vater war zeit seines Lebens ein Demokrat und hat von Titeln und Orden nichts gehalten". Einen Viererzug dafür herzugeben, über diese Zumutung hätte er nur herzlich gelacht. Als Wilhelm Moessinger eines Tages über den Oberlandesstallmeister von Willich Kenntnis von einer ihm bevorstehenden Verleihung eines hessischen Ordens erhalten hatte, habe er von Willich gebeten, daraufhin zu wirken, dass von der Verleihung Abstand genommen werde. Diesem Ansinnen habe man auch stattgegeben, ohne dass die guten Beziehungen zu dem Hof in Darmstadt darunter gelitten hätten. Eine Ehrung allerdings habe Wilhelm Moessinger mit großer Freude entgegengenommen: Die Verleihung der silbernen Plakette der Stadt Frankfurt, die ihm als Anerkennung für seine Verdienste um seine Vaterstadt überreicht wurde.
In den Nachrufen 1932 wird Wilhelm Moessinger als "einer der verdienstvollsten und tatkräftigsten Frankfurter Sportförderer" bezeichnet, "dessen hervorragende Charakter- eigenschaften und Fähigkeiten ihn jedem zum Freund machten" (Frankfurter Nachrichten). Als "eine der bekanntesten Persönlichkeiten Frankfurts" preist ihn die "Frankfurter Zeitung" und zählt seine vielen Verdienste für den Pferdesport, sowohl für der Trabersport als für den Galoppsport, und auch für den Rudersport auf. Wilhelm Moessinger gilt als Mitbegründer des Frankfurter Pferdesports und des Rudervereins "Germania". In den entsprechenden Vereinigungen wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Er war Aufsichtsratsmitglied in den verschiedensten Gesellschaften. Wilhelm Moessinger war von Natur aus ein fröhlicher Mensch, der herzlich lachen konnte. Er hatte stets ein Herz für sein Personal, und wenn die Herrschaften mit den Gästen vergnügt feierten, dann fiel auch immer einiges für die ab, die die Vorbereitungsarbeiten und die Dienste zu verrichten hatten.
Die Leute des alten Moessinger erzählen, dass sein Alltag sehr geregelt ablief: Um 6 Uhr in der Früh sei er losgeritten, gegen 8 ½ Uhr zurückgekehrt, um 9 Uhr mit seiner einspännigen Kutsche nach Frankfurt zu seinem Geschäft gefahren. Wilhelm Moessinger habe zusammen mit seinem Bruder Viktor verschiedene Arten von "Schweizer Pillen" herstellen lassen und vertrieben. Die Merolin-Seife sei auch eines ihrer Produkte gewesen. Beide seien Eigentümer der Bioson-Werke (Fa. Apotheker Tiefenbach) gewesen.
In der Elbestraße habe die Firma ein ganzes Haus mit Büroräumen besessen. Zum Tagesablauf zurück: Zum Mittagessen sei Wilhelm Moessinger nach Hause gekommen. Nach kurzem Mittagsschlaf fuhr er wieder weg, evtl. auch zur Jagd, die er meistens nur als Zuschauer genossen habe. In der Gegend von Arheiligen hatte er eine Jagd gepachtet. Wilhelm Moessinger wird als sehr leutseliger Mann geschildert." Jeder einfache Mann konnte sich mit ihm unterhalten". Man erinnert sich, als er auch einmal beim Heumachen kurzzeitig mitgeholfen hatte, habe er anschließend alle Beteiligten zum Essen in das Gasthaus Darmstädter Hof eingeladen. Der Darmstädter Hof war sozusagen das Stammlokal der Moessingers. Hier wurde die Weihnachtsfeier veranstaltet, und hier verkehrten die Herrschaften auch mit ihren Gästen, wenn es bürgerlich gemütlich zugehen sollte.
Bei Moessingers war man stets williger Abnehmer für eine Zeichnung oder ein Gemälde des talentierten Sprendlinger Malers Jakob Kuch, der u.a. das große Kirchenbild geschaffen hat "Lasset die Kindlein zu mir kommen“. Es sind mehrfach Spenden von Wilhelm Moessinger für die Sprendlinger Ortsarmen in Höhe von 600 Mark bekannt geworden. Man erzählt, dass er eines Tages das Spenden eingestellt habe, weil ihm allzu häufige und aufdringliche Bettelei lästig geworden sei.
Der alte Moessinger konnte in seinem Humor manchmal auch recht derb sein. Als an einem Kerbmontag der Zimmermeister Schäfer ("Bombe-Jean", deutsch: Pumpen-Jean) ihm eine Rechnung von etwas über 2.000 Mark präsentierte, fand er den Zeitpunkt wenig angebracht für ein solches Ansinnen, legte Schäfer die Summe hin und knurrte: "Wenn Du mir noch einmal so kommst, schieß ich Dich übern Haufen".
Seinen jagdbegeisterten Freunden soll er einmal einen großen Spaß bereitet haben, als er ein lebendes Wildschwein besorgen ließ, das der Jagdaufseher Fleck "hinter Bayerseich" aussetzte. Eine Menge Treiber sorgte dafür, dass sich das Tier nicht auf Nimmerwiedersehen in die Büsche schlug, und ebenso viele Jäger waren bemüht, das Schwein zur Strecke zu bringen. Ein wildes Geballer habe eingesetzt, denn offensichtlich wollte jeder Jagdteilnehmer doch wenigstens einen Schuss auf die Jagdbeute abgegeben haben.
Manche Straße in Sprendlingen wurde auf Moessingers betreiben ausgebessert. Die Bauern hätten ausnahmslos mitgeholfen und freiwillig Steine und Sand gefahren. In der Zeit kurz nach 1900 hatte Sprendlingen eine einzige Straßenlaterne. Es war eine Petroleum-Lampe. Sie stand im "Helje-Stock" (Heiligenstock, wie der Ortsbereich bei Schmied Dreieicher und dem "Großen Hof" genannt wurde, heute: Einmündung der AlberusStraße in die Hauptstraße. Sicher stand einmal früher hier ein Bildstock mit Heiligenbild.). Dem Sprendlinger Gemeinderat schien die vorhandene Beleuchtung ausreichend. Denn als Moessinger den Antrag stellte, die gesamte Ortsdurchfahrt mit Laternen zu beleuchten, lehnte man dieses Ansinnen strikte ab. Einige Bemerkungen der sparsamen Gemeinderäte zu diesem Problem wurden überliefert und sollen gelautet haben: "Wer bezählt des Staa-Eel?" (Stein-Öl = Petroleum), "Wer bezählt des Aastecke?" (Anstecken, Anzünden). Offensichtlich hatte Moessinger nicht Lust, die Illumination Sprendlingens zu unterhalten, und so wurden eben keine Laternen angebracht.
In den Sommermonaten fanden zu Wilhelm Moessingers Zeiten samstags stets Gesellschaftsabende auf Mariahall statt. Die Herren vergnügten sich auf der eigenen Kegelbahn, und die Damen saßen zum Plauderstündchen zusammen. Es ist klar, dass man bei diesem Kegeln schon einige Scheine gewinnen oder verlieren konnte. Ein gern ausgeübter Sport auf Mariahall war das Tontaubenschießen.
War die Herrschaft nicht da, kegelte das Personal an geselligen Abenden. Wilhelm Kuch erinnert sich, dass an einem solchen Kegelabend plötzlich ein Feldhase im Gehöft umhergeirrt sei und den Weg hinaus nicht mehr gefunden habe. Mit Hunden hat dann die achtköpfige Kegelrunde dem Hasen nachgestellt und ihn schließlich erlegt. Man ließ ihn im Darmstädter Hof zubereiten und verspeiste ihn an einem Dienstagabend in geselliger Runde. Aber dieser vorerst geschenkte Braten kam doch noch recht teuer, denn sie wurden von einem Neider angezeigt. Von Offenbach sei Wachtmeister Seibel zu Pferd nach Sprendlingen gekommen, eigens um die Übeltäter zu verhören. Am Gericht in Langen wurden sie verurteilt. Jeder musste 15 Mark Strafe bezahlen, dazu noch den Kostenanteil des Verfahrens. Der Ärger hierüber rumorte in allen, bis sich eine Gelegenheit bot, sich an dem bekannt gewordenen Verräter zu rächen. Während eines Maskenballs haben die erbosten Hasenjäger den Denunzianten gepackt und tüchtig verprügelt.
Im Herbst jeden Jahres, wenn die Herrschaft ihren Hauptwohnsitz nach Frankfurt verlegte, wurde zum Abschied ein prächtiges Feuerwerk abgebrannt. Die Insel im Weiher und ihre Umgebung leuchteten bunt illuminiert. Die Damen konnten den Anblick bei einer Fahrt im Ruderboot genießen. Die Frankfurter Villa Wilhelm Moessingers war aufs Modernste eingerichtet, mit Wintergarten und allem sonstigen Komfort. Das Anwesen soll sich von der Bockenheimer Landstraße bis zum Kettenhofweg erstreckt haben. Dort befanden sich auch Ställe und eine Chaisen-Remise. Hausverwalter und Betreuer der Pferde war hier Herr Heidegger. Im Winter fuhr an jedem Freitag ein beheizter Wagen mit Blumen von Mariahall nach Frankfurt.
Heute sind die ehemals zu Mariahall gehörenden Gebäude nahezu alle abgebrochen. Auch das stolze Herrschaftshaus mit seinen beiden, in Sandstein gehauenen Löwen am Seiteneingang ließ die Gemeinde 1965 abreißen. Die bewegte Geschichte dieses Gebäudes bis zu seinem Ende sei kurz skizziert: Von 1931 bis 1935 war die Villa als Restaurant an Jos. K. Hertmann verpachtet. 1936 war sie Schulungsstätte der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF). Auch die Hitler-Jugend tagte in diesem Gebäude. 1940 wurde es wieder als Restaurant verpachtet, und zwar an den Pächter Kollmann. Während des Krieges fand das Haus als Lazarett Verwendung. Es wurde wieder Restaurant ab 1946. Pächter war Herr Oremek. 1950 gab es wieder einen neuen Pächter (Müller), der das Haus als Hotel-Restaurant mit 55 Betten betrieb.
Es wird noch heute vielfach angezweifelt, ob die Erhaltung des Herrschaftshauses wirklich nicht möglich gewesen sei. Wie man hört, habe der Hausschwamm zu schaffen gemacht. Die den Seiteneingang flankierenden Löwen waren von dem Sprendlinger Steinmetz Wilhelm Stork auf seinem Werksplatz neben dem Friedhof gefertigt worden. Wilhelm Stork hat auch das Sprendlinger Wappen mit dem Hirsch geschaffen, das das Rathausportal schmückt. Heute erinnert in Sprendlingen nur noch der Name Mariahallstraße an das einstmals so glanzvolle Landgut, und auch das nur bei den alten Sprendlingern. Die Jungen können dem Namen Mariahall keinen Inhalt mehr geben.
Anmerkungen Wilhelm Ott, Juli 2021
Die Enkelin von Familie Oremek berichtete, dass sie ab 1954 mit ihren Eltern im Haus Mariahall wohnte. Im Erdgeschoss gab es ein gutbürgerliches Restaurant mit einer Terrasse in den Garten hinaus. Die Küche befand sich im Keller. Im ersten Stock und im Dachgeschoss lagen die Hotelzimmer. Es gab damals nur Etagenbäder. Die oben genannte Zahl von 55 Betten ist offensichtlich zu hoch gegriffen, Das lässt der Grundriss der Etagen nicht zu. Der Hotel- und Restaurantbetrieb wurde aus Altersgründen 1962 eingestellt. Die Löwen vom Hauptportal wurden 2011 von Bettina und Hermann Storck, den Enkeln des Steinmetzes den „Freunden Sprendlingens“ überlassen, die die Skulpturen am Eingang des Sprendlinger Friedhofs aufstellen ließen.