Von Hügelgräbern und seltsamen Spuren im Boden
Von Dr. Barbara Simon
Geht man im Wald rund um den Luderbach ein Stück abseits, findet man die stummen Zeugen der Vergangenheit: Sanft geschwungene Erdhügel, manche eng zu Gruppen gedrängt, manche weit voneinander entfernt. Es sind Hügelgräber und sie sind die letzten sichtbaren Hinweise, die uns die Menschen aus der Vorgeschichte hinterlassen haben.
Die vielen Sprendlinger Grabhügel sind schon lange bekannt und konnten auch von unseren Vorfahren nicht übersehen werden. Zum ersten
Mal gezählt hat sie aber erst der Archäologe und Geschichtsforscher Karl Nahrgang in seiner großen Bestandsaufnahme 1951 und er kam auf 105 Bestattungshügel. Damit liegt Sprendlingen immerhin
gleich auf Platz 2 hinter der Stadt Offenbach mit 228 Hügeln.
Die Kreisarchäologin Gesine Weber glaubt, dass es früher noch mehr Hügelgräber in unserer Region gegeben hat. Durch Bebauung und
Ackerbau seien sie aber heute nicht mehr sichtbar. Ein solcher Fall ist sogar überliefert: Als im 18. Jahrhundert der nördliche Bornwald (heute die Wiesen und Felder rund um den Herrnröther Weg)
gerodet wurde, seien einige Hügelgräber „geschleift“ worden, berichtet Nahrgang in seinem Werk zu den Bodendenkmälern im Kreisgebiet.
Abb.: Besonders mystisch wirken die Grabhügel im Abendlicht, Bildquelle: B. Simon
1875 grub als Erster der Frankfurter Archäologe Dr. Adam Hammeran zwei Hügel der sogenannten Dornseegruppe
aus. Im Bild rechts sieht man eine Bodenrelief-Darstellung
dieser Sprendlinger Nekropole aus der Vogelperspektive. Man erkennt die Grabung Hammerans heute noch an den Vertiefungen im großen Hügel rechts. Hammeran entdeckte Tongefäße, Bronzepfeilspitzen,
ein Bernsteinkettchen, ein paar Goldperlen, Bronzepinzette und -kratzer, Becher und Schalen. Die Funde liegen heute im archäologischen Museum in Frankfurt.
Abb. links: Zeichnung Funde Hammeran der Urnen-felderzeit 1200-800 v.Chr.
Abb. rechts: Zeichnung Funde Hammeran der Hallstattzeit 800-500 v.C.
Bildquellen: Bodenfunde im Kreis Offenbach, Karl Nahrgang
Im Jahr 1991 war es zu einem Zufallsfund in der Hügelgruppe am Schreckwurz-Weg gekommen. Ein heftiger Sturm hatte einen Baum, der in einem
Grabhügel wurzelte, umgeworfen. Nun baumelten Tonscherben im Wurzelwerk. Auch die Freunde Sprendlingens halfen damals, die offen gelegten Funde zu bergen (siehe Zeitungsbericht links). Neben
einer großen Urne mit Asche und Knochenresten entdeckten sie zerbrochene Keramikschalen, die die Archäologie eindeutig in die Hallstattzeit zwischen 700 und 500 vor Christus datierte. Man geht
davon aus, dass der Tote ein Mann im Alter zwischen 22 bis 40 Jahren war.
Grabungen an Hügelgräbern macht man heute nur noch in Ausnahmefällen und so ein Fall trat im Jahr 2002 ein: Ein Forstbeamter hörte
verdächtige Geräusche von den Dornseehügeln, konnte aber die Grabräuber nicht erwischen. Leider hatten sie schon einen Teil eines Hügels beschädigt. Daher entschloss sich die Kreisarchäologin
Gesine Weber zur Sondage, „um zu retten, was zu retten ist“. Unter Erdschichten und Steinpackungen entdeckte das Team Keramikschalen und ein Eisenmesser. Vom Skelett war nichts mehr vorhanden. Da
die Keramik eindeutig zur sogenannten Koberstädter Gruppe gehört, wurde auch dieses Grab der Hallstattzeit um 700 vor Christus zugeordnet.
Abb. links: Die Steinpackung 1,80 x 3,40 m, Abb. rechts: Die Keramikschalen
Bildquellen: D. Kroemer/G. Weber, UDSchB Kreis Offenbach
Für Hügelgräber gab es von der Bronzezeit bis in die Keltenzeit eine Art Standardaufbau, der auch in den
Sprendlinger Gräbern angewandt wurde. Die Toten wurden in einem Baumsarg oder einer Holzkiste aufgebahrt und mit Grabbeigaben ausgestattet. Dies umbaute man zunächst mit einer stabilen
Steinpackung und darüber wurde das Erdreich geschichtet. Zur Stabilisierung umgab man den Hügel mit einem Steinkranz, was zugleich auch dekorativen oder
magischen Zwecken gedient haben mag. Manchmal wurde ein Stein oder eine Stele auf die Spitze gesetzt.
Die Hügel in unserem Gebiet haben heute noch einen Durchmesser von 10 bis zu 30 Metern. Die Mächtigeren unter ihnen könnten bis zu 5 Metern hoch und im
damals offenen Gelände weithin sichtbar gewesen sein. Man nutzte solche Hügel übrigens mehrfach. Sehr oft sind Körpernachbestattungen oder auch Urnen zu finden, weil weitere Mitglieder einer
Familie oder eines Clans im Hügel beigesetzt wurden. Wir erkennen hier Ähnlichkeiten zur Gegenwart, denn auch heute werden Grabstätten von Familien über mehrere Generationen genutzt und auch der
Stein spielt zur Eingrenzung oder als Zeichen der Ewigkeit noch eine wichtige Rolle. Die Abbildung zeigt eine ehemalige Grabstele aus der
Koberstadt, gesichert von Klaus Ulrich und Achim Seibert
Wir können also davon ausgehen, dass im Luderbachwald vor zwei- bis dreitausend Jahren einige hundert Menschen beigesetzt wurden. Viele Hügel von einst sind verschwunden und in den noch sichtbaren 105 Gräbern fand oft mehr als eine Person ihre letzte Ruhe. Außerdem sind unsichtbare Flachgräber, die es in manchen Phasen auch gegeben hat, nicht ausgeschlossen. Somit können wir dieses Areal auch als urgeschichtlichen Friedhof ansprechen.
Man muss sich die damalige Landschaft offen und wenig bewaldet vorstellen. „In der Nähe der Hügelgräber waren auch die Siedlungen, aber im heutigen Wald ist das schwer nachzuweisen“, sagt Gesine Weber. Man habe aber in Offenthal und Egelsbach Siedlungsfunde auf heute landwirtschaftlich genutzten Flächen ganz in der Nähe von Grabhügeln gemacht. Die Sprendlinger Funde und die Erkenntnisse der Hallstatt- und Keltenforschung in Hessen erlauben uns einige grobe Rückschlüsse auf die Lebens- und Wirtschaftsweise der ehemaligen Bewohner am Luderbach.
Die Menschen hielten vermutlich Schweine, Rinder, Ziegen, Schafe und vielleicht auch Pferde. Sie bauten Hirse, Emmer und andere damalige Getreidesorten, Ackerbohnen, Erbsen und Linsen an. Die damals bekannten Gemüse waren Löwenzahn, Brennnesseln, Rübe, Rettich, Sellerie, Zwiebel und Kohl.
Häuser der Eisenzeit sind in vielen Freilichtmuseen zu sehen und konnten von der Archäologie rekonstruiert werden: Die Wände zwischen den Holzbalken wurden mit einer Füllung aus Lehm und Stroh gefüllt. Die Dächer waren mit Schilf gedeckt. Die unten zu sehende einfache Version könnte auch am Luderbach gestanden haben.
Abb: Nachbau eines keltischen Hauses, Bildquelle: G. Weber, UDSchB Kreis Offenbach
Es muss auch einige handwerkliche Tätigkeiten in den Dörfern oder Hofstellen gegeben haben, denn ein beträchtlicher Teil der Gegenstände des
täglichen Lebens wurde damals selbst hergestellt oder repariert. Mit Sicherheit wurde daher getöpfert und in einem Brennofen Keramik gebrannt, die sich ja heute in den Gräbern
wiederfindet.
Den Rohstoff dafür fand man in Lehmgruben, bei uns Kauten genannt. Wo genau sie damals lagen, wissen wir nicht. In der Regel finden
sich Lehm- und Tonvorkommen jedoch in der Nähe von Gewässern, so dass sie sich rund um den Luderbach vermuten lassen. Vielleicht wurde auch Eisen verhüttet und geschmiedet.
Abb. rechts: Vonderau Museum Fulda, Ofen gebaut von Chr. Lotz
Auch Kleidung wurde selbst gemacht. Bei einer Ausgrabung in Seligenstadt wurden eisenzeitliche Webgewichte und Spinnwirtel auf dem Gelände des Golfplatzes gefunden, so dass vermutlich auch am Luderbach Stoffe gewebt wurden.
Abb. links: eisenzeitlicher Webstuhl, Abb. rechts:
Funde Seligenstadt
Bildquelle: D. Kroemer/G. Weber, UDSchB Kreis Offenbach
Regional gehörten die Dörfer oder Hofstellen rund um die Grabhügel zur Koberstädter Kultur und hatten mit Sicherheit Kontakt in
Richtung Langen (Koberstadt), Offenthal, Sachsenhausen und Offenbach, wo sich weitere Hügelgrabgruppen befinden. Handel, Austausch, Feste und Verheiratungen gehören in das Spektrum der möglichen
Kontakte. Mit den umliegenden Dörfern teilten sie auch den gleichen Stil der Töpferware. „Diese Keramik entspricht dem zeitgenössischen Vorkommen und die Funde zeigen, dass die Leute mit den
üblichen Gegenständen ausgestattet waren“, sagt Gesine Weber. Ein Beispiel sei das im Dornseehügel gefundene Eisenmesser.
Doch auch vor den Hallstattleuten waren schon Menschen am Luderbach und haben dort Grabhügel errichtet. Für diese sogenannte
Bronzezeit gibt es Hinweise für einen überregionalen Austausch, denn es wurde Bernstein und Gold gefunden. Und nicht zuletzt kamen Bronzegegenstände in einem Grab zu tage, die nur über den
Fernhandel in unsere Region gekommen sein können. Eine Gußform, die in Offenthal gefunden wurde, kann sogar als Hinweis auf das Bronzehandwerk in unserer Region gesehen werden.
Durch die neue Laserscan-Methode LIDAR finden sich neben den Grabhügeln weitere interessante Formen und Strukturen
im Boden unter dem Wald, die eindeutig menschengemacht sind. Im Bild links sind zwei sich kreuzende Wälle zu erkennen. Sie liegen in der Nähe der Dornsee-Grabhügelgruppe und sind 200 bis 300
Meter lang.
Über die Bedeutung dieser Formen wird noch geforscht. Der Archäologe Dr. Volker Arnold aus Schleswig-Holstein hält sie für die Reste
alter Ackersysteme. In Kooperation mit dem Team der Freunde Sprendlingens und den archäologischen Fachstellen werden diese Relikte im Sprendlinger Wald derzeit intensiv untersucht.
Mehr dazu:* Keltische Felder in Sprendlingen oder * Im ganzen Rhein-Main-Gebiet
Die Hügelgrab-Erbauer am Luderbach gehörten wohl überwiegend zu den hallstattzeitlichen Gruppen. Könnte es dort eine Art
Ur-Sprendlingen gegeben haben? Ja, weil am Luderbach bereits Menschen vor den ersten urkundlich erwähnten Sprendlingern gelebt haben. Nein, weil keine Kontinuität nachgewiesen werden kann,
da die Höfe rund um den Luderbach irgendwann aufgegeben wurden.
Abb.: So könnte auch die offene Landschaft am Luderbach mit ihren Hügelgräbern und Feldern ausgesehen
haben: Digitale Rekonstruktion des Gräberfeldes von Bergheim-Paffendorf in NRW (1200 v. Chr. bis 14 n. Chr.). Nachweis: Mikko Kriek,
Amsterdam
Wann genau und warum die Luderbachanwohner verschwanden, kann bislang nicht beantwortet werden. Klimaveränderungen oder ausgelaugte
Böden könnten den Anstoß gegeben haben. Felder und Höfe verfielen und die Natur eroberte sich das Gebiet zurück. Als Alemannen im 3.- 4. Jahrhundert nach Christus in Südhessen eindrangen,
gründeten sie eine neue Siedlung am Hengstbach. Ob es zu diesem Zeitpunkt noch Hofstellen am Luderbach gab, ist unklar.
Irgendwann im frühen Mittelalter jedoch entwickelte sich dort ein Wald und der wurde zum begehrten Jagdgebiet, das sich die
Merowinger und Frankenkönige als Reichsforst sicherten. In Urkunden und alten Karten ist nichts mehr von früheren Siedlungen zu sehen. In der Neuzeit wurde vom Isenburger Fürsten ein paralleles
Wegesystem durch das Waldstück angelegt, dem sogar der eine oder andere Grabhügel zum Opfer fiel.
Es gibt also noch viele Rätsel rund um den Luderbach und daher allen Grund, mit modernen Methoden wie LIDAR oder minimalinvasiven
Sondagen unseren Wald zu erforschen. Nur so können wir die fehlenden Puzzleteile finden, um uns ein besseres Bild von der Ur- und Frühgeschichte in unserer Region machen zu
können.
Danksagung: Dieser Artikel wurde mit fachlicher Hilfe und Tipps von
der Kreisarchäologin Mag. Gesine Weber und dem Archäologen Dr. Volker Arnold betreut. Wir danken für die freundliche Unterstützung.